"Gordon Brown loswerden"

Mit Cameron auf Wahlkampf-Tour

David Cameron, der Chef der Konservativen, stellt den Anspruch, neuer Premierminister zu werden. Das Wahlsystem in Großbritannien ist ja ein Mehrheitswahlrecht mit Einer-Wahlkreisen, und wer ein Regierungsamt anstrebt, muss zuerst einmal in seinem eigenen Wahlkreis gewinnen, so natürlich auch Cameron. Er tritt in dem kleinen Städtchen Witney in der Nähe von Oxford an.

Mittagsjournal, 03.05.2010

Beständig konservativ

Niedrige Häuser aus Naturstein, enge Gassen, viele kleine Geschäfte – im Zentrum von Witney hat sich über die Jahrhunderte sichtlich nicht viel verändert. Und auch, was die politische Einstellung betrifft, lieben die Menschen hier offenbar die Beständigkeit. Die Mehrheit wählt stets die Konservativen, die Tories, schon seit Jahrzehnten ist das so. Und bei dieser Wahl, so hofft so mancher hier, könnte endlich das ganze Land wieder dem Beispiel Witneys folgen und der Labour-Regierung nach 13 Jahren ein Ende setzen: "Ich hab genug von Labour, meint ein junger Mann." - "Die Labour-Party hat dieses Land ruiniert, über viele Jahre hinweg, sie haben zu viele Einwanderer ins Land gelassen und sie haben die Steuern erhöht." - "Wirtschaft und Einwanderung – darum geht’s doch, wir müssen das radikal ändern, wenn wir nicht untergehen wollen." - "Labour hat den Leuten nichts mehr anzubieten." - "Das ganze New-Labour-Projekt, das 1997 begonnen wurde, ist inzwischen tot." - "Das wichtigste ist, dass wir Gordon Brown loswerden", so eine junge Frau.

Enttäuscht von Labour

Der Premierminister ist zur Belastung für Labour geworden, selbst bei jenen, die durchaus einmal Sympathien für die Partei empfunden haben. "Als Tony Blair an die Spitze kam, hab ich gedacht, er bringt da frischen Wind hinein, und da hab ich ein paar Mal Labour gewählt, aber jetzt hab ich das Vertrauen verloren." - "Gordon Brown war ein brillanter Finanzminister, er hat das wirklich gut gemacht, aber er ist kein Premierminister, und seit er im Amt ist, sind wir ins Schleudern geraten", meint die Wechselwählerin. Ihre Stimme bekommen nun die Konservativen, oder genauer gesagt, David Cameron.

Volksnaher Cameron

Witney ist nämlich Camerons Wahlkreis, hier tritt er für die Konservativen für das Parlament an. Und Stadtrat David Harvey, der seinen Parteikollegen Cameron gut kennt, meint, dieser beherrsche genau das, was dem jetzigen Premier Gordon Brown fehle: "Es kann mit den Leuten unwahrscheinlich gut umgehen, er hört genau hin. Und er hat meistens die richtige Antwort." Fast jeder in Cameron könne von jemandem erzählen, dem Cameron geholfen habe.

"Wir lassen keinen fallen"

Und da ist er auch schon, David Cameron, auf eine kurze Stippvisite in seinem eigenen Wahlkreis.
Etwas Smalltalk mit den Bürgern der Stadt, dann aber eine Botschaft, die die aus London mitgekommenen Fernsehteams im ganzen Land verbreiten sollen: "Wenn es eine konservative Regierung gibt, mit mir als Premierminister, dann werden wir mitfühlend sein, gemäßigt. Wir werden uns um die Älteren kümmern, die Gebrechlichen, die Hilfsbedürftigen, das ist es, was die Qualität einer Gesellschaft ausmacht, nicht nur in guten Zeiten, sondern auch in schwierigen. Wir lassen keinen Menschen fallen, die Bevölkerung soll das wissen, das ist es wofür ich eintrete, wer ich bin."

Imagewandel der Torys

Cameron hat seiner Partei einen Werte- und Image-Wandel verordnet. Dem unter Margaret Thatcher bei vielen Briten entstandene Bild, die Tories seien herzlos und egoistisch, nähmen von den Armen und gäben den Reichen, tritt der nunmehrige Parteichef entschieden entgegen. Als modern, grün und bürgernah will der erst 43-jährige seine Partei präsentieren. "Wir waren zu weit rechts und David hat und mehr zu Mitte getrieben", meint Stadtrat Harvey.

Vorsprung schrumpft dennoch

David Cameron hat Witney unterdessen längst wieder verlassen. In den letzten Tagen des Wahlkampfes hat er sich täglich Dutzende Kurzauftritte im ganzen Land vorgenommen. Und doch – Großbritannien scheint nicht restlos überzeugt zu sein, dass es sich David Cameron wirklich als neuen Premier wünscht. Der Vorsprung von fast 20 Prozentpunkten gegenüber Gordon Brown ist in den letzten Monaten und Wochen auf einige wenige Prozentpunkte zusammengeschrumpft.

David - oder doch Nick?

Die von Cameron erhoffte absolute Mehrheit ist in weite Ferne gerückt, und wer nur gegen Labour stimmen möchte, der hat – das hat die Fernsehdebatte vor zweieinhalb Wochen gezeigt - auch andere Möglichkeiten: Bei dieser Debatte hat sich der Liberaldemokrat Nick Clegg der Öffentlichkeit als sympathischer, telegener und überzeugender Alternativ-Kandidat zu Brown und Cameron präsentiert. Selbst in Camerons eigenem Wahlkreis zweifelt nun so manche Wählerin: "Ich werde vermutlich für David stimmen – obwohl, Nick scheint auch sehr gut zu sein – ich weiß es wirklich nicht", meint die Pensionistin. Und wie ihr dürfte es nicht wenigen Briten gehen.