Unbeliebtes 'Hung Parliament' droht
Britenwahl mit unklarem Ausgang
Großbritannien wählt am Donnerstag ein neues Parlament – und laut Umfragen wird es äußerst knapp ausgehen. So knapp, dass voraussichtlich etwas für Großbritannien mit seinem System des Mehrheitswahlrechts äußerst ungewöhnliches eintreten wird – keine Partei wird eine absolute Mandatsmehrheit erringen - genannt „hung parliament“.
8. April 2017, 21:58
Mittagsjournal, 05.05.2010
"Desaster" für das Land
"Das wäre ein Desaster, wenn wir ein hung parliament bekommen". "Ein hung parliament ist nicht gut für das Land". "Da könnten keine Entscheidungen mehr getroffen werden, und das könnte das britische Pfund in die Tiefe reißen", meint ein älterer Mann. Was in Mitteleuropa die Regel ist, das löst bei den meisten Briten schwere Befürchtungen aus – ein Parlament, in dem keine Partei die absolute Mehrheit hat. Seit 36 Jahren hat es so etwas nicht mehr gegeben in Großbritannien.
Cameron wirbt um Stimmen
Und der Parteichef der Konservativen, David Cameron, nützt die Ängste davor auch gleich im Wahlkampf. Hung parliaments bringen nichts weiter, sagt Cameron, und die Botschaft soll sein: Wählt die Konservativen, wenn ihr kein hung parliament wollt. So mancher Wähler zieht da freilich andere Schlüsse: "Da hätte ich noch lieber, dass die Labour Party gewinnt, wenn wir so ein hung parliament vermeiden können. Obwohl ich ein Konservativer bin. Aber wer auch immer gewinnt, er muss fähig sein, zu regieren. Weil: Koalitionen werden in keinem Fall funktionieren".
Unsicherer Ausgang
Dass die nächste Regierung eine Koalition sein wird, wenn tatsächlich keine Partei eine absolute Mehrheit erzielt, das ist freilich noch gar nicht sicher. Die Umfragen sehen die Konservativen als stärkste Partei, und die wollen offenbar einen Minderheits-Regierung bilden. Das Kalkül der Tories: die anderen Parteien werden es nicht wagen, die Regierung zu überstimmen und so zu Fall zu bringen, weil das hätte Neuwahlen zur Folge, und dann würden die Wähler jene Partei bestrafen, die die Neuwahlen provoziert hat.
Clegg legt sich noch nicht fest
Die Alternative zu einer Minderheitsregierung der Konservativen: die zweit- und die drittplatzierte Partei tun sich zusammen, schließen irgendeine Form von Pakt oder vielleicht doch eine formelle Koalition. Den Umfragen zufolge wären das Labour und die Liberaldemokraten. Ist diese Variante realistisch? "Es wäre einfach absurd, dass eine Partei, wenn sie der Stimmenzahl nach nur den dritten Platz erzielt, sich am Amtssitz des Regierungschefs in der Downing-Street einnistet und den Anspruch stellt, die Regierung zu führen", sagt Nick Clegg, der Parteichef der Liberaldemokraten.
Es ist dies eine Absage Cleggs an Labour, für den Fall dass Labour, wie es zumindest einige der Umfragen vorausgesagt haben, weniger Stimmen bekommen sollte als die Liberaldemokraten. Aber von Clegg sind auch andere Aussagen zu hören: "Ich könnte mit jedem am Regierungstisch sitzen, der mit mir übereinstimmt, dass wir das Steuersystem fairer gestalten müssen, so Clegg, und bei anderer Gelegenheit hat er wieder erklärt, er werde die stärkere Partei unterstützen. Was zusammengenommen wohl nur bedeuten kann: die Liberaldemokraten wollen sich noch nicht wirklich festlegen.
Tage Browns gezählt
Und Labour? Die Partei hat durchaus Interesse an einer Zusammenarbeit mit den Liberaldemokraten signalisiert – das dann wohl aber ohne den bisherigen Regierungschef Gordon Brown.
"Ich muss die Verantwortung übernehmen, und ich werde die volle Verantwortung übernehmen, wenn irgendetwas passieren sollte", so Brown – was wohl heißt, Brown geht, wenn die Verluste für Labour recht groß sind. Doch auch dann – eine Koalition der Wahlverlierer gegen den Gewinner wird kaum auf viel Zustimmung der Bevölkerung stoßen und ist daher eine riskante Sache.
Baldige Neuwahl wahrscheinlich
Doch was auch immer das Ergebnis der Parteienverhandlungen nach der Wahl sein wird, ein hung parliament wird nicht sehr stabil sein, meint der Politologe Tony Travers von der London School of Economics: "Es besteht die ernsthafte Möglichkeit einer weiteren Parlamentswahl in ein oder zwei Jahren". Ja das, sagt Travers, ist aus heutiger Sicht sogar das wahrscheinlichste Szenario.