Motto: Rückblick und Ausblick

Biennale Dakar

Die senegalesische Hauptstadt Dakar steht dieser Tage ganz im Zeichen der neunten Biennale für Afrikanische Gegenwartskunst. Die "Dak'Art" hat sich im zwanzigsten Jahr ihres Bestehens zu einem wichtigen Treffpunkt für die internationale Fachwelt entwickelt, aber auch die lokale Bevölkerung macht engagiert mit.

Kulturjournal 11.05.2010

An jeder Ecke gibt es eine Ausstellung oder eine Performance zu sehen, Hunderte Veranstaltungen finden in der ersten Biennale-Woche statt - nicht immer ganz reibungslos. Was die einen als charmante Improvisation durchgehen lassen, ist für andere schlicht unprofessionell - die Bedeutung der Biennale von Dakar als panafrikanische Kunstschau ist ihr jedoch nicht abzusprechen.

Grenzen überwinden

Anstatt einer Schleife durchschnitt der senegalesische Kulturminister vor dem Eingang des IFAN Musee de l'Art Africain einen Stacheldraht - die symbolische Barriere war als Kunstaktion angebracht worden. Um Grenzen und die Schwierigkeit, diese zu überwinden, geht es in mehreren Arbeiten in der Hauptausstellung der Biennale von Dakar, wiewohl es sich dabei nicht um ein kuratorisches Konzept handelt.

Das Thema der Biennale lautet, sehr allgemein gehalten "Retrospective - Perspective". Man will also rückblicken auf die letzten zwanzig Jahre der "Dak'Art” und einen Ausblick geben auf das, was kommen kann.

Mit dem Grand Prix Senghor ausgezeichnet

Der retrospektive Teil ist jenen Künstlern gewidmet, die seit Gründung der Biennale 1990 mit dem Grand Prix Léopold Sédar Senghor ausgezeichnet wurden. Der senegalesische Künstler Viyé Diba etwa hat 1998 reüssiert. Für ihn sei der Grand Prix nicht nur als Anerkennung und Zwischenbilanz seiner Karriere wichtig gewesen, sondern auch weil seine künstlerische Entwicklung danach unter öffentlicher Beobachtung stand. Es sei damit daher auch eine inhaltliche Verantwortung verbunden, sagt Viyé Diba, der - ebenso wie die anderen Preisträger - für die Biennale 2010 eine neue Arbeit entwickelt hat.

Im anderen Teil der Hauptausstellung sind hingegen ausschließlich Künstler vertreten, die noch nie bei der Biennale dabei gewesen sind. Vor allem Malerei und Fotos sind zu sehen, ausgewählt von fünf Kuratoren, die wiederum durch ein Expertenkomitee bestimmt wurden: 16 Nationen, zehn Männer und beachtenswerterweise acht Frauen, so lautet die Teilnehmerstatistik.

Kinder- und Sklavenschicksale

Mouna Jemal Siala ist eine tunesische Künstlerin. Mit dem Preis des Kulturministeriums wurde sie für ihre Fotoinstallation "Fate" ausgezeichnet, die sich - auf persönlicher Ebene - mit dem Schicksal von Sklaven und mit jenem von Kindern beschäftigt.

Ein Bild ihrer eigenen Kinder, Drillinge, hat sie vervielfacht und in mehreren Reihen zu einem langgezogenen Wandbild montiert. Es erinnert an Skizzen von Sklavenschiffen, auf denen Hunderte Menschen nebeneinander gepfercht abtransportiert wurden.

Ausgangspunkt solcher Transporte war die Insel Gorée, die vor der Stadt Dakar im Atlantischen Meer liegt und heute eine Gedenkstätte für die Millionen von versklavten Afrikanern aus der Region darstellt. "Für mich war der Besuch des Hauses der Sklaven auf Gorée prägend", erzählt Siala, "und unter welch unmenschlichen Bedingungen die Sklaven verfrachtet wurden, kopfüber und möglichst platzsparend. Ihr Los war ihnen unbekannt, ebenso wie jenes der Kinder. Mit meiner Arbeit wollte ich diese Parallele vorsichtig suggerieren."

Keine EU-Subvention mehr

Entgegengenommen wurden Einreichungen von Künstlern, insgesamt 400, die einen unmittelbaren biografischen Bezug zu Afrika haben. In den Vorjahren war die Überzahl an senegalesischen Künstlern kritisiert worden - diesmal wurde auf Ausgeglichenheit zwischen den afrikanischen Regionen geachtet, erklärt der Präsident der Biennale Gerard Senac.

Senac ist Sammler, Mäzen und zugleich Chef der französischen Baufirma Eiffage. Diese setzt in Senegal große Bauprojekte um und ist einer der wichtigsten Financiers der Dakar Biennale, neben der senegalesischen Regierung.

Weggefallen ist 2010 die Subventionierung durch die Europäische Union, heuer erstmals in der Geschichte der Biennale. Über 60 Prozent des Gesamtbudgets kam in den Vorjahren von der EU - diesmal ist es daher erheblich reduziert. Gründe für den Rückzug der EU sind die mangelhafte Organisation der Biennale, viel zu kurze Vorlaufzeiten, und dass gemeinsam mit Fachleuten formulierte Vorschläge, wie man die Biennale auf ein professionelleres Niveau heben könnte, keineswegs berücksichtigt wurden.

Gilles Hervio, Botschafter der Europäischen Union in Senegal, kritisiert auch, dass der Biennale seitens des Kulturministeriums zu wenig Autonomie zugestanden wird - so muss jede Entscheidung behördlich abgesegnet werden. Laut Gilles Hervio gilt es daher, die Nachwirkungen dieser Biennale abzuwarten und ob die notwendigen strukturellen Änderungen vorgenommen werden.

Idealismus wichtiger als Geld

Wenn man, so EU-Botschafter Hervio, wie die letzten Male vorgeht, also die Biennale einigermaßen über die Bühne kriegt, sich gegenseitig gratuliert und dann die Arbeit liegen lässt bis drei Monate vor der nächsten Biennale, dann sieht es für die internationale Glaubwürdigkeit der Dak'Art schlecht aus.

Biennale-Präsident Gerard Senac übt sich in Optimismus. Er beteuert, dass die Biennale, trotz des unerwartet minimierten Budgets, überleben und erfolgreich sein wird: "Man muss von der Behauptung ablassen, dass Geld auch Qualität bringt. Das ist falsch. Es braucht Männer und Frauen, die sich freiwillig engagieren. Natürlich braucht man auch ein Grundbudget für die Raummiete, Honorare oder Reisekosten, aber kein großes. Zum Beispiel: Wir haben kein Budget, um teure Kuratoren einfliegen zu lassen, daher arbeiten wir mit lokalen Kuratoren."

Dak'Art Off

An Bedeutung gewonnen hat in den letzten Jahren das offizielle Nebenprogramm, genannt Dak'Art Off. Rund 200 Orte in Dakar und außerhalb werden bespielt, darunter Galerien und Ateliers ebenso wie Gaststätten und Privatwohnungen - jeder kann eine Veranstaltung anmelden. Entsprechend dicht ist der Terminkalender dieser Tage. Mauro Petroni, der das Off-Programm koordiniert, sieht darin eine unvergleichbare Mobilisierung der Bewohner von Dakar. Er rechnet vor:

"An einer Ausstellung sind oft fünf bis sechs oder mehr Künstler beteiligt. Dann gibt es einen Organisator, Aufbaupersonal, manchmal einen kleinen Sponsor. Wenn man sich das grob ausrechnet, sind wohl über 1.000 Leute beteiligt. Das ist außergewöhnlich viel! Wenn also behauptet wird, die Biennale habe keine Öffentlichkeit und sie sei kein populäres Ereignis - das stimmt nicht. Die künstlerische Qualität ist manchmal freilich zu diskutieren, aber keine andere Biennale weltweit erfährt diese Breite. Getragen wird unsere Biennale vom Elan und der Lust der Teilnehmer."

Und tatsächlich: in Dakar scheint derzeit - obwohl kaum Werbeplakate angebracht sind - jeder über die Biennale Bescheid zu wissen. Sogar die fliegenden Straßenhändler, die Telefonwertkarten, Uhren oder Haushaltswaren anbieten, entpuppen sich dieser Tage als Künstler, oder zumindest kennt jeder jemanden, der im Rahmen der Dak'Art Off ausstellt. Vorauswahl gibt es bei "Off” keine, nur vom Kunsthandwerk will man sich abgrenzen.

Keine "afrikanischen Künstler"

Während der Bildhauer Séa Diallo seinen künstlerischen Zugang als Autodidakt erklärt, deutet er den Besuchern, sein Atelier zu betreten. Dieses befindet sich im "Village des Arts", einer Künstlerkolonie außerhalb des Stadtzentrums von Dakar. Dutzende Künstler arbeiten hier in Bungalows, und im Rahmen des Off-Programms öffnen sie ihre Ateliers.

Auf die Frage, ob die Hauptausstellung im zentralen Museum ein angebrachtes Bild der afrikanischen Gegenwartskunst wiedergäbe, antwortet Séa Diallo, er kenne viele Afrikaner, die Künstler sind, aber einen "afrikanischen Künstler", den soll man ihm erstmal zeigen. Die Idee, dass Künstler afrikanischer Herkunft etwas gemeinsam haben, eine ästhetisches Verständnis oder thematische Interessen teilen, wird durch den panafrikanischen Anspruch der Biennale suggeriert, aber durch die Vielfalt der künstlerischen Positionen auch widerlegt.

Schaufenster für aktuelle Kunst

Der Berliner Galerist Peter Herrmann handelt seit über 20 Jahren mit afrikanischer Kunst. Er ist in Dakar, um sich anzusehen, was die von ihm vertretenen Künstler präsentieren, aber auch um junge Talente zu entdecken. Der Dak'Art misst er keine Bedeutung auf dem internationalen Kunstmarkt zu. Wichtig sei die Biennale dennoch, meint Herrmann, nämlich um die kulturelle Infrastruktur zu verbessern und als exemplarisches Versuchsfeld dafür, wie an der schrittweisen Behebung struktureller Mängel gearbeitet werden kann.

Eine 20-jährige Geschichte, offensichtliche Schwächen und dennoch ein unbestreitbares Potenzial - als internationaler Treffpunkt der Kunstwelt in Afrika und als Schaufenster für aktuelle Kunstproduktion auf dem lange ignorierten Kontinent: Für die zur Institution gereifte Kunstveranstaltung Dak'Art ist diese Ausgabe eine Möglichkeit innezuhalten, sich selbst zu hinterfragen und den Kurs für die Zukunft festzulegen. Dass dies auch den Veranstaltern bewusst ist, beweist das dichte Rahmenprogramm mit Diskussionen und kritischen Vorträgen.

Für den Rest der Kunstwelt, für Kunstkritiker, Galeristen, Kuratoren und Sammler, die von außerhalb anreisen, wirft diese Großausstellung die Frage auf, inwiefern die gewohnten Maßstäbe hier anwendbar sind, und ob deren globale Gültigkeit noch gerechtfertigt werden kann.

Service

Dak'Art, Biennale afrikanischer Gegenwartskunst, bis 7. Juni 2010, Dakar, Senegal

Biennale Dakar