Kommissionspräsident vor EU-Parlament

Barroso hält erstmals Rede zur Lage der EU

Der Präsident der EU-Kommission, Jose Manuel Barroso, wird erstmals eine Rede zur Lage der Europäischen Union halten. Dabei will der Portugiese unter anderem zu den Auswirkungen der weltweiten Wirtschaftskrise Stellung nehmen. Die Abgeordneten in Straßburg drängen auch darauf, dass er sich zur Massenausweisung der Roma aus Frankreich äußert.

Drei Stunden hat Manuel Barroso Zeit, um über die bisherige Arbeit der Kommission zu resümieren und einen Ausblick auf die anstehenden Themen in der Europäischen Union zu liefern. Beobachter erwarten, dass sich der Kommissionspräsident auf die Auswirkungen der Wirtschaftskrise konzentrieren wird. Viele Abgeordnete aber wollen den Kommissionspräsidenten mit einem brennenden gesellschaftspolitischen Thema konfrontieren: Der massenhaften Ausweisung der Roma aus Frankreich und die fehlenden Reaktion der EU-Kommission.

Morgenjournal, 07.09.2010

Premiere für EU

Es ist eine kleine Premiere im Europaparlament – das Vorbild zur „Rede zur Lage der Union“ liefern die USA, wo der US-Präsident mit seiner „Rede zur Lage der Nation“ alljährlich dem Kongress sein Programm vorstellt. Seit dem Vertrag von Lissabon gibt es nun das europäische Gegenstück. So soll mehr Transparenz entstehen und das europäische Parlament, also die direkt vom Volk gewählten Vertreter besser in die Entscheidungsfindungen eingebunden werden.

Schwerpunkt Wirtschaftskrise

Jose Manuel Barroso will den Focus auf die wirtschaftlichen Veränderungen und Probleme richten. Immerhin wurde Europa seit der Angelobung der neuen EU-Kommission im Februar mehrfach auf die Probe gestellt.

Stichwort: Die Beinahe-Pleite von Griechenland oder der milliardenschwere Euro-Rettungsschirm, der andere Euroländer vor einem möglichen Bankrott bewahren soll. In seiner dreistündigen Rede wird er auch einen Ausblick auf die kommenden Monate liefern. Eine wichtige Rolle werden wohl die neuen europäischen Kontrollinstanzen für die Finanzmärkte spielen, immerhin konnte erst vor wenigen Tagen eine Einigung zur europäischen Finanzmarktaufsicht erzielt werden.

Wenig klare Ansagen

Klare Ansagen und Vorgaben für die Zukunft der Europäischen Union wird Barroso aber wohl schuldig bleiben. Nicht der Kommissionspräsident, sondern die Nationalstaaten, insbesondere die Regierungen in Berlin, Paris und London haben das letzte Wort. Illustriert wurde das etwa durch den Streit um die Verschärfung des Eurostabilitätspaktes oder um härtere Strafen für notorische Budget-Defizit-Sünder.

Heikles Thema Roma

Besonders deutlich aber wurde die Machtlosigkeit des Kommissionspräsidenten bei der massenhaften Abschiebung von Roma aus Frankreich. Tagelang hatte die EU-Kommission es nicht gewagt, das Wort zu ergreifen oder Frankreich gar zu kritisieren. EU-Abgeordnete wollen sogar erfahren haben, dass Barroso den Besuch seines EU-Sozialkommissars in einer französischen Roma-Siedlung verhindert hat. Dieses heikle Thema würde der Kommissionspräsident bei seiner heutigen großen Rede wohl lieber auslassen. Doch die Europaparlamentarier haben die Roma-Frage noch im letzten Augenblick auf die Tagesordnung reklamiert. Vor allem die Sozialdemokraten und die Grünen wollen Barroso während seines großen Auftritts zur Haltung der EU-Kommission in den vergangenen Wochen vor den laufenden Kameras befragen.

Anwesenheitspflicht

Übrigens wird Barroso seine die Rede vor prall gefüllten Reihen halten – die EU-Abgeordneten wurden vom Parlamentspräsidenten nachdrücklich ersucht, während der drei Stunden anwesend zu sein. Bis gestern Abend war sogar noch von Geldstrafen die Rede, sollte ein Abgeordneter schwänzen. Nach lautstarkem Protest aber wurde diese Drohung schließlich zurückgenommen.

Grüne: Barroso parteiisch

Der Kommissionspräsident der EU steht in Straßburg unter Beschuss, die Grünen werfen ihm vor im Zuge der Roma-Ausweisungen aus Frankreich parteiisch gehandelt zu haben. Das EU-Parlament, das sich zuletzt im Frühling für die Rechte der Roma eingesetzt hat, arbeitet nun an einer Resolution, um die Situation der Roma in der EU zu verbessern. Ulrike Lunacek kritisiert in diesem Zusammenhand die Rolle Barrosos scharf.

Morgenjournal, 07.09.2010

Ulrike Lunacek im Gespräch mit Cornelia Primosch