Die Schattenseiten der Gesellschaft aufzeigen

Die argentinische Autorin Claudia Pineiro

Claudia Pineiro ist eine der zahlreichen Schriftsteller, die dieses Jahr bei der Frankfurter Buchmesse mit ihren Werken ihr Land repräsentieren werden. Ihr Erstlingswerk "Ganz die Deine" erschien 2008 auf Deutsch. Für ihren zweiten Roman "Elena weiß Bescheid" wurde sie dieses Jahr mit dem LiBeratur-Preis ausgezeichnet.

Kulturjournal, 07.10.2010

Berufswunsch: Schriftstellerin

"Ich schreibe, seitdem ich zu schreiben gelernt habe, noch bevor ich lesen konnte", erzählt Claudia Pineiro. "Ich habe immer geschrieben, mein Leben lang. Wie ich jedoch Schriftstellerin geworden bin, ist eine andere Frage."

Claudia Pineiro wollte schon immer Schriftstellerin werden. Doch ihre Leidenschaft fürs Schreiben sollte zunächst ein Hobby bleiben. Ihre Eltern wollten für sie eine finanziell gesicherte berufliche Zukunft haben, und die sahen sie nicht in der Schriftstellerei. Da gesellschaftliche Themen Claudia Pineiro schon damals interessierten, entschied sie sich schließlich für das Studium der Soziologie.

"Als ich die Schule beendet hatte, wollte ich Soziologie studieren", so Pineiro. "Doch genau in dem Jahr waren die Militärs an die Macht gekommen und hatten das Studienfach gestrichen. Ich wusste erst einmal gar nicht, was ich studieren sollte. Meine Eltern hatten beide Wirtschaftswissenschaften studiert, jedoch ohne Abschluss, und ihre Erwartungen an mich und meinen Bruder waren eben, dass wir Wirtschaftswissenschaften studieren. Und so war es dann auch."

Kultur aktuell, 04.10.2010

Shootingstar der argentinischen Literatur

Claudia Pineiro arbeitete schließlich in einem Unternehmen, doch ihre Liebe fürs Schreiben sollte sie schon bald wieder einholen: "Ich war auf dem Weg nach Sao Paulo, als ich in einer Wirtschaftszeitung eine kleine Annonce von einem Verlag las, die zu einem Literatur-Wettbewerb aufrief. Meine Entscheidung stand: einmal zurück in Buenos Aires nehme ich Urlaub, um an diesem Wettbewerb teilnehmen zu können. Ich wäre wohl sonst völlig deprimiert gewesen. Es war ein Wettbewerb, bei dem man einen erotischen Roman vorlegen musste. Schließlich reichte ich mein erstes verfasstes Werk ein und landete damit unter den zehn Finalisten."

Mittlerweile schreibt Claudia Pineiro seit 20 Jahren und zählt seit 2003 zu den Shootingstars der argentinischen Literatur. Sie veröffentlichte unter anderem vier Romane, von denen drei ins Deutsche übersetzt wurden. Angefangen hatte sie jedoch damit, Drehbücher für Telenovelas und Theaterstücke zu schreiben.

Gesellschaftskritische Themen

In ihren Werken setzt sie sich immer wieder mit gesellschaftskritischen Themen auseinander. "In meinen Romanen kommen immer wieder sogenannte Schein-Familien vor, die nach außen hin darum bemüht sind, den Schein der perfekten Familie zu wahren", so Pineiro. "In meinem Buch 'Die Donnerstagswitwen' sind es gleich mehrere Familien, bei denen sich die eigentliche Geschichte hinter dieser Fassade verbirgt."

Die argentinische Gesellschaft ist sehr stark in Klassen aufgeteilt, die gerne unter sich bleiben. "Die Donnerstagswitwen" zeigen, wie hoch der Preis vor allem für die reiche Gesellschaftsschicht ist, ihren Status Quo auch in schwierigen Zeiten aufrechtzuerhalten.

"Der Roman schildert die Welt, in der wir damals lebten", sagt Pineiro, "eine Scheinwelt insofern, weil wir dachten, wir seien ein reiches Land und würden zur ersten Welt gehören. Doch die Seifenblase platzte irgendwann und wir fielen in eine tiefe Depression. Europa kann diese Situation wohl seit der Wirtschaftskrise von 2008 besser nachempfinden. Denn Europa stand bis 2008 für gesicherte Arbeitsplätze und es war unwahrscheinlich, dass jemand für lange Zeit arbeitslos blieb."

Kriminalromane mit überraschender Entwicklung

Die Werke von Claudia Pineiro sind Kriminalromane, die in der Entwicklung ihrer Geschichte den Leser jedoch überraschen. Es geht nicht primär darum, den Mörder zu finden, sondern zu schildern, welche Auswirkungen der Tod haben kann:

"In meinen Romanen bringe ich meine Protagonisten gerne in grenzwertige Situationen. Und der Tod scheint mir die extremste Grenzsituation zu sein. Der Tod setzt jegliche Normen und Spielregeln, die bis dahin galten, außer Kraft. Man könnte sagen, das Leben müsste sich wieder neu strukturieren. Der Tod bewegt und das, was er bei meinen Protagonisten auslöst, ist wie der Motor meiner Geschichten. Und mittlerweile erwarten meine Leser schon Tode in meinen Romanen. In dem Buch zum Beispiel, das ich gerade schreibe, gibt es gleich fünf Tote!"

Täglich berichten die Medien in Buenos Aires von Morden und Überfällen. Die Gesellschaft lebt seit 2001 mit einer zunehmenden Gewalt, die vor allem von Jugendlichen ausgeht, die oftmals keine Zukunftsperspektiven für sich sehen. Ein Szenario, das sich in anderen Ländern Südamerikas wiederholt und die Gesellschaft prägt, so auch Claudia Pineiro:

"Jeder lateinamerikanische Autor, der über soziale Themen schreibt, wird, wenn er seine Umwelt bewusst wahrnimmt, zwangsläufig auf Themen stoßen, die mit der Kriminalität zu tun haben. Leider ist die Gewalt für uns ein alltägliches Thema, und der Tod ist so gesehen für uns nichts Außergewöhnliches mehr."

Beschäftigung mit dem Tod

Außergewöhnlich ist womöglich eher, dass sich Claudia Pineiro schon sehr früh mit dem Tod beschäftigt hat, zu einer Zeit in der es in Buenos Aires normal war, die Haustür im Sommer sperrangelweit auf zu lassen und man diese häufig nicht einmal abschloss, wenn man das Haus verließ. Während man heute auf der Straße kaum Leute sieht, die auffällig wertvollen Schmuck tragen, genossen es die Damen bis Mitte der 1980er Jahre sehr, diesen zur Schau zu stellen. Gewalt und Tod waren in der Gesellschaft bei weitem nicht so präsent wie heute, und dennoch:

"Ich erinnere mich, wie ich als kleines Kind sehr viel über den Tod nachgedacht habe und die Unendlichkeit. Ich habe meiner Mutter einmal gesagt, dass ich nicht sterben wolle. Meine Mutter verstand mich nicht und meinte, ich werde jetzt nicht sterben. Aber ich wollte ja sagen, dass ich nie sterben wolle, das hat sie aber nicht verstanden."

Claudia Pineiro - eine leidenschaftliche Schriftstellerin, die Soziologie studieren wollte und ihren Abschluss jedoch in Wirtschaftswissenschaften absolvierte. In ihren Romanen schreckt die Autorin nicht davor zurück, die Schattenseiten der argentinischen Gesellschaft aufzuzeigen und sorgt dabei für spannende Unterhaltung und stets für ein überraschendes Ende.

Service

Claudia Pineiro, "Ganz die Deine", Unionsverlag

Claudia Pineiro, "Elena weiß Bescheid", Unionsverlag

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