Repression nach Nobelpreis verschärft

Demokratiebewegung unter Bewachung

Nach der Verleihung des Friedensnobelpreises an den chinesischen Regimekritiker Liu Xiaobo erhöht Peking den Druck auf die Demokratiebewegung. Mitstreiter des Nobelpreisträgers sind zwar nicht wie dieser inhaftiert, berichten aber von verstärkter Überwachung durch die Polizei.

Mittagsjournal, 15.10.2010

Interview trotz Überwachung

Vor einer Woche wurde bekannt, dass der chinesische Dissident Liu Xiaobo den diesjährigen Friedensnobelpreis erhält. China reagierte prompt mit harscher Kritik und die Aufregung wird sich wohl bis zur tatsächlichen Preisverleihung nicht legen. Liu Xiaobos Frau Liu Xia wird von der Öffentlichkeit abgeschottet und steht de facto unter Hausarrest. Zahlreiche Dissidenten berichten, dass sie unter polizeilicher Beobachtung stehen und geben daher derzeit keine Interviews. Gao Yu ist eine von ihnen, aber furchtlos genug, dennoch vor ein Mikrophon zu treten.

Nach Artikel veröffentlicht

Der weiße Van der Marke Jinbei steht auffällig unauffällig auf dem Parkplatz vor Gao Yu‘s Haus. Aber der Geheimpolizist in zivil, der zur Tarnung eine Frau neben sich hat, begnügt sich damit, zum Mobiltelefon zu greifen, wenn er Besucher erblickt. Er stoppt uns nicht. Vor zwei Tagen hat die Journalistin Gao Yu in Hongkong einen Artikel über Liu Xiaobo veröffentlicht. Seither steht sie unter Beobachtung, nicht zum ersten Mal. "Die Polizei sagt, ich soll melden wenn ich irgendwohin will. Und sie wollte mich auch besuchen, aber ich habe gesagt, ich habe keine Zeit. Ich kenne den Polizisten meines Viertels ziemlich gut," erzählt sie lachend.

Mitunterzeichnerin der Charta 08

Gao Yu hat schon viel erlebt. Sie wurde zur Volksfeindin erklärt, war an der Tiannanmen-Bewegung beteiligt und mehrmals in Haft. Sechs Jahre bekam sie für die angebliche Preisgabe von Staatsgeheimnissen. Sie ist Mitglied des unabhängigen PEN-Clubs dessen Vorsitzender Liu Xiaobo war und Mitunterzeichnerin der Charta 08, die ihn für elf Jahre hinter Gitter gebracht hat. Warum man sie nicht so leicht einschüchtern kann wie manchen anderen, der dieser Tage nicht wagt, an die Öffentlichkeit zu gehen, ist schnell erklärt: "Manche jüngere Aktivisten haben vielleicht mehr Druck als ich, sie müssen ihre Miete zahlen, ihre Kinder großziehen, und so weiter. Ich bin freiberuflich tätig, von keinem Arbeitsplatz abhängig. Und mein Sohn ist erwachsen."

Nobelpreis ist Ansporn

Eine wahre Demokratiebewegung gebe es in China aber nicht, sagt Gao Yu. Die Dissidenten seien nicht organisiert, daher könnten die Behörden auch nichts zerschlagen. Der Friedensnobelpreis sei allen ein Ansporn. Und die chinesische Führung selbst sozusagen „schuld“ daran. "Hätte die Regierung der Charta 08 nicht so viel Bedeutung beigemessen und Liu Xiaobo nicht zu einer so langen Haftstrafe verurteilt, wäre China vom Friedensnobelpreis noch weit entfernt, da bin ich mir sicher."

Dabei sei diese Charta gar nicht so radikal, sagt Gao Yu. Die Rechte auf freie Meinungsäußerung, Publikations,- und Versammlungsfreiheit, die sie fordert, sind in der chinesischen Verfassung festgeschrieben. Und der föderale Staat, zu dem sie aufruft, sei alte Parteilinie. Das haben ehemalige Parteigranden das Gericht schon bei der Verurteilung von Liu Xiaobo wissen lassen.

Kritik durch Ex-Funktionäre

Vor wenigen Tagen haben sich wieder welche zu Wort gemeldet. Niemand geringerer als der ehemalige Sekretär von Mao Zedong fordert mit 22 anderen die sofortige Abschaffung der Zensur und überfällige Umsetzung der Pressefreiheit. "Wir genießen heute weniger Meinungs- und Publikationsfreiheit als Koloniebewohner", steht in dem offenen Brief, der via Emails kursiert. Die von der Regierung behauptete sozialistische Demokratie chinesischer Prägung sei nichts als peinlich. Starker Tobak von pensionierten Parteileuten. Aber weist ein solcher Brief wirklich auf eine Spaltung innerhalb der Kommunistischen Partei in Fragen der Meinungsfreiheit und Menschenrechte? Gao Yu bezweifelt das und hält die KP für nicht reformierbar: "Der autoritäre Kapitalismus wird die Demokratie nicht fördern, auch wenn die Partei sagt, Demokratie sei eine schöne Sache. Es gibt alle möglichen hübschen Parolen. Doch tatsächlich wird nichts getan."

Nach Preis: Haft verlängert

Demokratie und KP seien demnach nicht kompatibel, meint Gao Yu. Aber was geschieht nun mit Liu Xiaobo? Hilft ihm der Nobelpreis? "Sicher nicht", sagt die Journalistin, und spricht aus Erfahrung. Als sie in Haft einen internationalen Medienpreis erhalten hat, hat sie nicht etwa Milde gespürt. Im Gegenteil, ihre Haft wurde vielmehr gleich einmal verlängert.

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