Liberaler Reporter im Koma

Neuer Mordanschlag auf russischen Journalisten

In Russland ist es wieder zu einem brutalen Angriff auf einen kritischen Journalisten gekommen. Oleg Kaschin, der für die liberale Tageszeitung Kommersant schreibt, wurde zusammengeschlagen. Er liegt in einem künstlichen Tiefschlaf. Wieder ist zu befürchten, dass die Suche nach den Hintermännern im Nichts verläuft.

Morgenjournal, 09.11.2010

Beine und Finger gebrochen

Die Überwachungskameras in der Moskauer Petrowka-Straße zeigen den brutalen Überfall. Minutenlang prügeln zwei Männer auf den 30 Jahre alten Reporter ein, er erleidet eine schwere Schädelverletzung, die Männer brechen ihm die Beine, sie brechen ihm alle Finger, als Hinweis auf seine Profession. Eine Frau aus der Nachbarschaft: "Sie haben auf seine Beine einprügelt, er lag da, konnte sich nicht mehr bewegen."

Medwedew setzt Sonderkommission ein

Die Ärzte beschreiben den Zustand von Oleg Kaschin als "stabil und schwer" beschrieben. Die Behörden ermitteln wegen versuchten Mordes. Präsident Medwedjew hat die Tat umgehend verurteilt, er hat eine Sonderkommission eingesetzt und eine lückenlose Aufklärung verlangt.

Manchen Kollegen von Oleg Kaschin sind solche stereotypen Erklärungen inzwischen zu wenig. Kollegen und Sympathisanten versammelten sich vor der Moskauer Polizeidirektion. In einem offenen Brief an den Präsidenten verlangen sie wirksame Schritte gegen die Gewalt. Einer der Initiatoren ist der Chef-Redakteur des Moskauer Radiosenders Echo Moskau, Alexej Wenediktow: "Im vergangenen Jahr gab es 59 Überfälle auf Journalisten. Nicht ein einziger Fall wurde aufgeklärt. Neun Journalisten wurden getötet. Russland ist nicht im Krieg, aber wir stehen da an dritter Stelle nach dem Irak und Afghanistan. Das ist ein Problem des Systems."

Zu gründlich recherchiert

Für die Kollegen der Tageszeitung Kommersant steht zweifelsfrei fest, dass der Überfall auf den Kollegen mit seiner beruflichen Tätigkeit zu tun hat. Oleg Kaschin war polemisch, formulierte scharf und recherchierte gründlicher, als den Mächtigen lieb war. Der Chef-Redakteur des Kommersant Michail Michailin vermutet, dass Kaschins jüngste Recherchen über extremistische Jugendgruppen der Auslöser der Gewalttat gewesen sein könnten.

Kaschin hat aber auch über die wohl bekannteste Umweltsünde des Landes geschrieben, ein Waldstück bei Moskau, das einer Autobahn weichen soll und über einen Provinzgouverneur, der ihm im Gegenzug mit Rache gedroht haben soll. Kaschins Kollege Michail Kowalski: "Die Mehrheit glaubt leider immer noch, dass Gewalt die beste Lösung ist. Nicht die Diskussion, der Streit oder das Gericht. Allein die physische Gewalt."

Fingerzeig an gesamten Berufsstand

Die Brutalität des Vorgehens ist kein Zufall: Wer immer auch dahinter steckt, der Überfall war erneut ein deutlicher Fingerzeig an einen gesamten Berufsstand. Dieser Fingerzeig ist auch deshalb so wirkungsvoll, weil in der Ära Putin kaum je ein Überfall auf einen Journalisten aufgeklärt wurde.

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