Eine Werkschau des zeitgenössischen österreichischen Hörspiels
Krieg, kaum Frieden
Es herrscht Krieg. Krieg zwischen den Völkern, Krieg zwischen den Menschen. Krieg zwischen Mann und Frau, Krieg zwischen Armen und Reichen, Krieg zwischen Inländern und Ausländern, sogar zwischen Mensch und Tier tobt Krieg.
25. November 2010, 19:55
Wenn man die zeitgenössische Hörspielproduktion der - zumeist jüngeren - Autorinnen und Autoren der letzten Jahre Revue passieren lässt, kann von Idylle, Harmonie und Wohlgefallen keine Rede sein. Es dominieren Konflikt, Terror, Gewalt und Tod. Nicht ungewöhnlich, könnte man meinen, da dem Drama seit der Antike der Konflikt naturgemäß innewohnt. Auch bei Shakespeare wird vergiftet und gemordet und kaum ein Hollywood-Blockbuster kommt ohne Katastrophen, Attacken und Bomben aus. Aber im Hörspiel? Just in jenem Genre, das sich so exzellent zur Darstellung subtiler und sublimer innerer Vorgänge eignet? Nun, Konflikt, das zeigt ein Blick auf die Geschichte, war im Hörspiel immer schon. Allerdings wurde der - im Regelfall durch gesellschaftliche, politische, religiöse oder ökonomische Umstände verursachte - Konflikt gleichsam von außen nach innen verlagert.
Beziehungsgeschichten und gekränkte Seelen
Schnitzlers Berta Garlan leidet in der großartigen Bearbeitung und Regie von Max Ophüls innerlich, fast heimlich. Das Personal von Joseph Roth oder Heimito von Doderer verfällt in Apathie und erschießt sich am Ende allenfalls. In den großen Hörspielen von Günter Eich und Ilse Aichinger werden selbst die Gräuel des Nationalsozialismus nach innen gekehrt und in Träume verwandelt. Allein in Ingeborg Bachmanns Stück "Der gute Gott von Manhattan" detoniert am Ende eine Bombe. Ansonsten aber: Beziehungsgeschichten, Liebesleid, gekränkte und verletzte Seelen allüberall. Der vorherrschende Katholizismus sieht, in trauter Eintracht mit einem bürgerlichen Verhaltenskodex, als Lösungsstrategie die Duldung und das Ertragen vor.
Man baut keine Bomben wenn man unglücklich oder unzufrieden ist. Man leidet und duldet, schreibt Gedichte, Tagebücher, geht in Konzerte, ins Theater oder zum Therapeuten. Doch damit ist im zeitgenössischen Hörspiel, dem österreichischen zumindest, Schluss. Zwei Monate lang, im Dezember und im Jänner, sendet das Hörspiel-Studio (jeweils Dienstag ab 21 Uhr), ausgewählte Neuproduktionen der letzten Jahre. Harte, kompromisslose Kost sozusagen, von weihnachtlichem Frieden keine Spur.
Die junge Autorin Elodie Pascal dokumentiert in ihrer ersten Arbeit ("Mein Körper ist ein Schlachtfeld") ein gewalttätiges Spiel mit dem eigenen Leib. Er wird verletzt, gekratzt und geschnitten. In Andreas Jungwirths auswegloser Beziehungsstudie "Alles Helden" wird am Ende ein Bombenanschlag auf eine U-Bahnstation verübt. In Martin K. Menzingers Monodrama "Trixi Baby" dominieren Missbrauch und sexuelle Gewalt, und auch in Paula Köhlmeiers Erzählung "Von Menschen, die sich fressen" liegt die Lösung des Problems in einem kühl geplanten Mord.
Harte und kompromisslose Kost
Am ersten Dienstag im Jänner schließlich geraten zwei slowakische "Ostblockmädchen" in der Darstellung von Emile Désastre und Eberhard Petschinka in eine lebensfrohe Orgie aus Sex und Gewalt, Ursula Scheidle entführt in "GPS" einen Äthiopier und eine Australierin ins eisige Nirgendwo, in March Hölds Stück "Träumt?" liegen tote Soldaten unterm Teppich, allein der legendäre Schispringer Matti Nykänen darf in Rosemarie Poiarkovs Hörspiel "Matti, spring!" auch gegen gewöhnliche Naturgewalten wie Wind und Wetter kämpfen. Dass auch er später dem Suff erliegt und aufgrund mehrerer Gewalttaten im Gefängnis landet, wird weiter nicht verwundern.
Ist so die Welt, mag manch einer voller Sorge fragen? Auch, wäre wohl die richtige Antwort. Doch freilich nicht nur. Allein: Friede, Freude, Eierkuchen beinhalten wenig, das zur Dramatisierung taugt. Nichts ist in einem literarischen Sinn langweiliger als das vollkommene Glück, die immerwährende Harmonie. Erich Kästner reagierte einmal auf einen Leserbrief, in dem ihm vorgeworfen wurde, immer nur das Negative hervorzukehren, mit einem Gedicht. Wir wollen es Ihnen an dieser Stelle nicht vorenthalten.
Und immer wieder schickt ihr mir Briefe,
in denen ihr, dick unterstrichen, schreibt:
"Herr Kästner, wo bleibt denn das Positive?"
Ja, weiß der Teufel, wo das bleibt.