Anregung vor Deutschland-Besuch

Putin für EU-Wirtschaftsraum mit Russland

Der russische Ministerpräsident Wladimir Putin ist auf Staatsbesuch in Deutschland. Schon vor seiner Ankunft hat er hohe Erwartungen geweckt. In einem Gastkommentar in der Süddeutschen Zeitung schlägt er die Schaffung eines gemeinsamen Wirtschaftsraumes von Lissabon bis Wladiwostok vor.

Mittagsjournal, 25.11.2010

Gemeinsame Freihandelszone

Die EU ist für Russland der mit Abstand wichtigste Handelspartner, die Hälfte aller Ein- und Ausführen geht nach Westeuropa. Kein Wunder, dass Russland diese Beziehungen verstärken will. Der russische Premierminister Wladimir Putin macht daher eine Idee offiziell, die bei russischen Politikwissenschaftlern schon länger kursiert.

In der Süddeutschen Zeitung schlägt er eine privilegierte Partnerschaft zwischen Russland und der EU vor, mit einer gemeinsamen Industriepolitik, einer gemeinsamen Bildungspolitik, gemeinsamen Märkten für Energie und einem gemeinsamen Wirtschaftsraum von - wie Putin sich ausdrückt - von Lissabon bis Wladiwostok.

Krisen künftig vermeiden

Dabei setzt er vor allem auf Deutschland: Deutschland habe eine Führungsrolle in der EU und sei auch führend bei der Partnerschaft mit Russland, etwa bei den Investitionen deutscher Firmen. Die Wirtschaftskrise der letzten Jahre hätte gezeigt, dass die Wirtschaft sowohl Russlands als auch der EU nicht den Anforderungen der Zeit entsprechen würden. Nur gemeinsam könnte man eine solche Krise in Zukunft vermeiden.

Gemischte Reaktionen

Die Reaktionen in Deutschland und Brüssel auf Putins Vorschlag dürften gemischt ausfallen. Das liegt nicht nur daran, dass Russland für die EU wirtschaftlich bei weitem nicht so bedeutend ist wie umgekehrt. Die USA, China, ja sogar die Schweiz sind wichtigere Handelspartner. Es liegt auch nicht daran, dass Putin in seinem Artikel einige Grundlagen der EU-Politik frontal angreift: So schlägt er zwar einen gemeinem Energiemarkt vor, dieser Markt solle aber auf keinen Fall liberalisiert werden - genau das Gegenteil dessen was die EU-Kommission will.

Widerspruch bei Reisefreiheit

Das Problem ist eher, dass Putins Worte, wie schon so oft, nicht der tatsächlichen Politik seines Landes entsprechen. Putin fordert in seinem Artikel etwa die Aufhebung der Visumpflicht zwischen Russland und der EU. Tatsächlich hat Russland erst vor wenigen Wochen die Anforderungen für Visa für deutsche Staatsbürger drastisch verschärft.

Handlungen Moskaus gefragt

Für eine enge wirtschaftliche Partnerschaft müsste Russland außerdem zuerst der Welthandelsorganisation WTO beitreten. Seit mehr als 15 Jahren wird verhandelt, und immer wieder hat Russland kurz vor einer Einigung Rückzieher gemacht: Zuletzt wurden die Einfuhrzölle für Autos erhöht, um die marode russische Autoindustrie vor ausländischer Konkurrenz zu schützen. Von der massiven Korruption in der Wirtschaft und dem Mangel an Demokratie ganz zu schweigen.

Selbst wenn Berlin und Brüssel Putins Vorschlag wohlwollend zur Kenntnis nehmen: Bevor es zu einer solchen Partnerschaft kommen kann, muss Russland erst tatsächlich Reformen durchführen und mehr anbieten als schöne Worte.

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