Eine erste Bilanz der Ära Meyer

100 Tage neue Staatsopern-Direktion

Mit großer Spannung und fast noch größeren Erwartungen wurde die neue Direktion der Wiener Staatsoper - Dominique Meyer und Franz Welser Möst - Anfang der Saison von Publikum und Presse erwartet. Nun sind an die 100 Tage der neuen Direktion vergangen. Genug, um einen ersten Blick zurück zu werfen.

Kulturjournal, 14.12.2010

Interview mit Franz Welser-Möst und Dominique Meyer

Mittagsjournal, 14.12.2010

Vier Premieren sind seit 5. September 2010 über die Bühne der Wiener Staatsoper gegangen, (eine konzertante, drei szenische) eine Wiederaufnahme. Lange nicht mehr gesehene Sänger sind zurückgekehrt, ebenso wie es viele neue Stimmen zu hören gab.

Die neue Direktion hat sich mit Elan und Enthusiasmus vorgestellt, was man in allen Bereichen des Hauses spürt und was sich auch auf das Publikum überträgt, das nicht nur aus bloßer Neugierde kommt.

Extrem hohe Auslastung

"Die Auslastung ist extrem hoch: 99,80 Prozent", freut sich Dominique Meyer. "Was mir gefällt ist die Begeisterung, die die Wiener für die Oper haben."

Die grundsätzliche Begeisterung macht sich insofern bemerkbar, als allen Unkenrufen zum Trotz alle fünf Vorstellungen von Händels "Alcina" ausverkauft waren, ebenso wie Hindemiths "Cadillac", eine Oper, die sonst nicht gerade als "Reißer" des Opernrepertoires gilt. Dagegen war die konzertante Produktion von Donizettis "Lucrezia Borgia" mit Edita Gruberova in der Titelpartie eine sogenannte sichere Nummer.

Gemischte Reaktionen auf "Don Giovanni"

Die Premiere von Mozarts "Don Giovanni" ging erst vergangenen Samstag über die Bühne. Franz Welser-Möst stand am Pult des Wiener Staatsopernorchesters - es sollte der Auftakt zu einem groß angelegten Mozartzyklus sein.

Die Direktion möchte wieder ein Mozartensemble ins Leben rufen. Mit Zerlina und Masetto sollte der Anfang gemacht werden. Sie waren auch die einzigen, die bei der Presse unumstritten gut angekommen sind. Beim Rest musste die Direktion zum ersten Mal Federn lassen - die Regie von Jean-Louis Martinoty ebenso betreffend wie die Sänger.

"Dass das nicht von heute auf morgen geht, wird jedem klar sein", so Franz Welser-Möst. "Aber es muss eine Vision und ein Traum an diesem Haus sein, dass man wenigstens versucht - ob's gelingt, ist ja noch eine andere Frage -, an diese legendären 1950er Jahre von den Sängern her anzuschließen. Und da bin ich schon unglaublich glücklich, dass die zwei Ensemblemitglieder - Silvia Schwartz und Adam Plachetka - wirklich das Zeug dazu haben."

Künstler zurückgekehrt

Auch im Repertoirealltag haben neue Stimmen ebenso Einzug gehalten wie lange vermisste wieder zurückgekehrt sind - Matthias Goerne, Herbert Lippert, Juliane Banse, Marcus Werba, um nur ein paar Namen zu nennen.

Generalmusikdirektor Franz Welser-Möst steht (und das ist nicht selbstverständlich) auch bei Repertoirevorstellungen am Pult, wenn nicht, besucht er die Vorstellungen seiner Kollegen. Ebenso wie Dominique Meyer allabendlich den persönlichen Kontakt zum Publikum sucht.

Oper muss sparen

Insgesamt werden die Zeiten auch für die Wiener Staatsoper nicht besser, die Direktion muss sparen und tut es auch - ohne sich jedoch vom zurzeit herumgeisternden allgemeinen Grundpessimismus anstecken zu lassen.

"Man weiß, es gibt wirtschaftliche Schwierigkeiten", gibt Meyer zu bedenken. "Zum Beispiel haben wir mit dem Sinken der Zinsen viel Geld verloren. Die Kasse ist ja immer voll, weil das Haus ausverkauft ist. Früher hat dieses Geld viele Zinsen gebracht, jetzt bringt es das nicht mehr. Natürlich gibt es Schwierigkeiten und natürlich müssen wir darauf achten, dass wir kein Geld beim Fenster hinausschmeißen. Das weiß das Haus."

Textfassung: Rainer Elstner