Püppchen statt Frauen erwünscht
Macho-Paradies Italien
Im World Gender Gap Report - so etwas wie eine Pisa Studie für Frauenemanzipation - liegt Italien an 74. Stelle von 134 untersuchten Staaten, nach Ghana, Vietnam oder der Dominikanischen Republik. Österreich hat es auf den auch nicht unbedingt berühmten 37. Platz geschafft.
9. April 2017, 17:51
"Glückliche" Veline
Italien war schon auch einmal weiter vorne - vor Berlusconi. Mit dem ausgewiesenen Frauenliebhaber an der Spitze der Regierung, ist unser südlicher Nachbar in dieser Studie des Weltwirtschaftsforums um 20 Plätze nach hinten gerutscht - und das trotz Mara Carfagna, Italiens Gleichstellungsministerin von Silvios Gnaden und ehemaligem Showgirl.
Wer mit seinen Reizen nicht geizt, wird etwas im Macho-Wunderland Italien: Ministerin, Europaparlament-Abgeordnete oder einfach Velina im Fernsehen. Veline sind die glücklichen Mädchen, die sich halb-nackt zu Füßen der um vieles älteren und angezogeneren Männer räkeln, nur lächeln, nicht sprechen. Velina ist - nebenbei bemerkt - ein journalistischer Fachausdruck und bezeichnet eine Agenturmeldung, die früher per Hand meistens von Frauen ins Studio getragen wurde - hießen die Frauen bald wie die Nachricht "Veline" und wurden immer dekorativer. Zu sagen haben sie - so wie die meisten italienischen Frauen - bis heute nichts.
Lorella Zanardo war Spitzenmanagerin eines großen Konzerns, bevor sie mit einer Dokumentation über das Frauenbild in Italiens Fernsehen zur feministischen Aktivistin wurde. Am Beginn ihrer Doku sagt sie: "Bilder sind nicht nur Bilder, sie sind Kommunikation, Gedächtnis, Wissen, Bildung. Ich hatte mir nicht gedacht, dass das Fernsehen ein so klarer Spiegel für viele unserer Verhaltensweisen sein würde."
Macho-Blick im Fernsehen
Jetzt tingelt Zanardo seit zwei Jahren mit ihrem Film von Schule zu Schule und vom italienischem Parlament ins Europa-Parlament, um das Bewusstsein dafür zu schärfen, was der Macho-Blick im italienischen Fernsehen aus den Frauen gemacht hat und macht: Ware, sexuell aufgeladene hübsche "lebende Skulpturen", wie ein Moderator ihr einmal erklärt hat.
"Wir machen keine 'moralische' Arbeit", sagt Zanardo, "unser Ziel ist eine wirkliche Befreiung der Frauen. Unser öffentliches Frauenbild ist ja das der 'Veline'. Das Programm 'Striscia la notizia' schickt junge Mädchen vor die Kamera, die halbnackt vor den zwei moderierenden Opas knien; die haben seit 23 Jahren noch nie etwas gesagt. Ich will, dass die 'Veline' sprechen! Lasst sie sprechen und lasst sie vor allem aufstehen!!"
Selber schuld!?
So gut wie selber schuld seien die Frauen an ihrer misslichen Lage, die sie etwa trotz besserer Ausbildung schlechtere Chancen am Arbeitsmarkt haben lässt. Es sei denn, sie sind jung und gertenschlank, schön und zu so manchem bereit... Selber schuld, findet Beppe Severgnini, Journalist beim renommierten "Corriere della Sera" und Autor des Buches "Überleben mit Berlusconi", das dieser Tage auf Deutsch erscheint - ganz ohne Ironie, übrigens.
"Ein uralter Trick, um die Frauen beim üblichen Eroberungsspiel zu täuschen, ist, so zu tun, als wäre dieses Spiel harmlos", meint Severgnini. "Dass das Hofieren, die Schönheit, der Blick in den tiefen Ausschnitt am Ende ein Zeichen der Anerkennung sei. Die Frauen haben dieses Spiel akzeptiert. Das tun sie in allen Ländern, aber es gibt überall den Punkt, an dem sie sagen: basta! Hier hört das Spiel auf! Die italienischen Frauen haben die Spielregeln hingegen in vollem Ausmaß akzeptiert und dieses natürliche Spiel zwischen Mann und Frau, das ja in Italien auch sehr schön ist, alle Lebensbereiche durchdringen lassen und in die Arbeitswelt, in die Politik, in die Beförderungspolitik Einzug hält. Das ist das Problem."
Ja, ja, die Frauen!! selber schuld, wenn sie so schön sind!! Angesprochen auf die Möglichkeit, das Militär zur Verbrechensbekämpfung in Italien einzusetzen, sagte Berlusconi einmal: "Man kann sich gar keine Streitmacht vorstellen, die ausreiche, um so etwas zu verhindern. Wir bräuchten so viele Soldaten, weil unsere Frauen so schön sind."
Italien in "pubertärer Phase"
"Ich habe viele Jahre im Ausland gelebt", sagt Zanardo. "Die Männer reden da nicht so über die Frauen wie bei uns. Das heißt nicht, dass ihnen die Frauen nicht gefallen würden. Ich habe das letzte Mal mit dem Korrespondenten der BBC gesprochen, ein fescher Mann, Frauen durchaus zugeneigt, der aber vom Verhalten unseres Premiers mit deutlicher Abscheu gesprochen hat. In Italien haben wir diese etwas primitive Einstellung, dass wenn dir die Frauen gefallen, gibt es auch keine Frauenrechte oder Minderheitenrechte mehr. Zeichen von einem primitiven Staat. Aber meine Hoffnung sind die Jungen, die sind anders!"
Berlusconi selbst ist nicht das Problem - es ist die Kultur, die er und die Seinen mit seinen wirkungsmächtigen Fernsehsendern und seiner Politik geprägt haben. Und das in einem Land, dessen Feminismus und hochqualitatives Fernsehen in den 1970er Jahren weltweit Vorbild waren!
"Italien ist nicht machistischer als andere Länder", meint hingegen Severgnini. "Italien ist in einer seltsamen pubertären Phase, geprägt von ständiger Erregung, präsexueller, parasexueller Erregung, was die Ausländer durchaus auch als Phänomen interessiert. Ich habe nordeuropäische Freundinnen, die sagen, dass ihnen das auch gefällt, wenn eine bestimmte Grenze nicht überschritten wird. Es ist nett, nach Italien zu kommen, sich beobachtet, geschätzt zu fühlen, das ist ein Kompliment, aber für alles gibt es eine Grenze und die hat unser Premier weit überschritten."
Vom Perfektionismus befreien
70 Prozent der italienischen Männer können nicht einmal das Wasser für die Pasta heiß machen, 95 Prozent hat noch nie eine Waschmaschine eingeschaltet. Italienische Männer haben am Tag 80 Minuten mehr Freizeit als italienische Frauen - in Norwegen beträgt die Differenz drei Minuten. Von 50:50 im Haushalt ist Italien Lichtjahre weit entfernt. Italienische Frauen haben schlicht keine Zeit und keine Energie, um gegen den grassierenden Machismo zu kämpfen - selber schuld?
"Ich erinnere mich, als ich in England lebte, hatte ich eine Freundin, die machte ihren Kindern ein TV-Set, also Jause vor dem Fernseher und fertig", so Zanardo. "Bei uns herrscht hingegen das Gesetz von der perfekten Hausfrau, der besten Mutter, Superehefrau, sauberes Haus. Perfekt angezogen: Vorspeise, Hauptspeise, Nachspeise, Obst das volle Programm, jeden Tag. Davon muss man sich befreien. Dabei helfen die Männer gar nicht. Italien ist an 74. Stelle des World Gender Gap - wir haben kein Frauenproblem, wir haben ein Männerproblem!"
Gegen den Machismo des Premiers und seines Clans protestieren in Italien jetzt auch die Männer: Eine Millionen Menschen war am 13. Februar 2011 auf der Straße und forderte unter dem Motto "Italien ist kein Bordell" das Ende der Regierung Berlusconi - für viele schon ein historisches Datum, bloß geändert hat sich seitdem so gut wie nichts.
"Die Demos in den 1970er Jahren waren ganz anders", meint Zanardo. "Die Menschen sind auf die Straße gegangen, und da gab es Parteien, die diese Signale zu lesen wussten. Und die sagten: Ah! schau, was für Energie, eine Million Menschen auf der Straße! Nutzen wir doch diese Energie, um die Welt zu verändern? Aber jetzt waren eine Million Frauen auf der Straße mit einer unglaublichen Energie, und trotzdem passiert nichts. Demos nützen also nichts mehr, wenn in der Politik niemand fähig ist, diesen Protest aufzunehmen. Demos nützen nur, wenn die Frauen danach ihr Leben in die eigene Hand nehmen."
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