Theater im Abseits - Teil 6
Schweres Überleben für das Theater Brett
27.000 Plätze haben die Wiener Theater allabendlich zu füllen. Aus der Vielfalt der österreichischen Theaterbühnen greifen wir seit einigen Wochen einige Kleinbühnen heraus und porträtieren sie. Den 6. Teil unserer Serie widmen wir einer Wiener Bühne, die im Laufe ihres fast 30-jährigen Bestehens eine wechselvolle Geschichte durchgemacht hat: dem Theater Brett.
8. April 2017, 21:58
Im Zuge der Wiener Theaterreform, die vor sechs Jahren inkraft getreten ist, hat sich die Wiener Theaterlandschaft ja ziemlich verändert - diese Veränderung im Subventionssystem hat einige Gewinner und viele Verlierer geschaffen. Einer dieser Verlierer ist das Theater Brett in der Wiener Münzwardeingasse. Dank der Zähigkeit und dem Idealismus seiner Betreiber Ludvik Kavin und Nika Brettschneider existiert das Theater heute so gut wie ohne öffentliche Zuwendung.
Kulturjournal, 08.04.2011
Früher angesagte Avantgardebühne
Die Münzwardeingasse im 6. Bezirk ist eine kleine, verträumte Seitengasse der Gumpendorferstraße. Sonnige Altbauwohnungen in ruhiger Lage werden hier angeboten, die Häuser sind mit Efeu umrankt, ein idyllisches Fleckchen. Nur dort, wo die Straße einen rechtwinkeligen Knick macht - zwischen dem lateinamerikanischen Lokal Andino und dem Theater Brett steht auf einer Hauswand geschrieben: "Fuck the pain away". Wer immer es dort hingeschrieben hat, irgendwie passt es zur Situation des Theaters, das seit fünf Jahren unter eklatantem Geldmangel leidet. Viele wissen nicht mehr, dass es uns überhaupt noch gibt, sagt der Leiter Ludvik Kavin:
"Gestern Abend ist es mir passiert, dass ich an der Garderobe stand und eine Frau zu mir gesagt hat: Sind Sie nicht der Herr Kavin? Was machen Sie hier, machen Sie hier den Garderobier? Und ich habe gesagt: Nein, ich spiele auch. Da hat sie gesagt: 'Wirklich, Euch gibt es noch? Ich habe in der Zeitung gelesen, dass Ihr kein Geld mehr bekommt.' Viele Menschen glauben, dass das Theater Brett nicht mehr existiert."
Freilich, so wie früher, als das Haus zu den angesagten Avantgardebühnen gehörte und vor allem beim studentischen Publikum sehr beliebt war, ist es heute nicht mehr hier, dennoch: das Theater Brett existiert - dank seiner Leiter.
In Wien hängengeblieben
1977 sind Ludvik Kavin und seine Frau Nika Brettschneider, beide Unterzeichner der Charta 77, aus der Tschechoslowakei geflohen. Eigentlich wollten sie ja nach Frankreich weiter, aber dann haben sie in Österreich sofort politisches Asyl bekommen und Freunde gefunden, und beschlossen, in Wien zu bleiben.
Weil sie kein Deutsch sprachen, studierten sie vier sprachlose Bewegungstheaterstücke ein, mit denen sie auf Tournee gingen. "Wir genossen auch das große Interesse für Bewegungstheater", erinnert sich Kavin, "sprachloses Theater und Improvisationstheater. Heute hat man ja diese ungeheure Vielfalt auf dem Theater, aber wir waren damals, wenn schon nicht die Einzigen, so doch zumindest unter den Ersten, die das angeboten haben."
Großtischlerei wird Theater
Und dann hat man das Haus in der Münzwardeingasse gefunden, die aufgelassene Großtischlerei wurde komplett umgebaut und daraus ein kleines Theater mit multifunktionaler Bühne und Platz für 90 Zuschauer geschaffen. Vier bis sechs Eigenproduktionen gab es im Jahr, gespielt wurde fast täglich. Doch mit der Theaterreform 2005 wurde alles anders. Das Theater Brett wurde als nicht förderungswürdig eingestuft und statt der 160.000 Euro jährlich erhält man seit damals 10.000 Euro pro Jahr. Eine obszöne Summe, meint Kavin:
"Allein das Haus zu erhalten kostet 50.000 Euro. Wir leben davon, das Haus zu ernähren. Wir kriegen keine Gage, und das, nachdem wir so viel in Wien gemacht haben."
Vor allem Zweipersonenstücke
In unmittelbarer Nachbarschaft des Theater Brett lag auch das Haus der Gruppe 80. Helga Illich und Helmut Wiesner, die zeitgleich mit Kavin und Brettschneider begonnen haben, traten nach der Reform den Rückzug an, haben ihr Haus aufgegeben und anderen Gruppen zur Verfügung gestellt. Kavin und Brettschneider sind geblieben.
Trotzig haben sie sich den Umständen angepasst. So setzt man heute nur noch ein bis zwei Eigenproduktionen im Jahr auf den Spielplan, bevorzugt Zweipersonenstücke, bei denen sie selber auf der Bühne stehen, und der technische Aufwand gering ist. Derzeit zeigt man Felix Mitterers Volksstück "Mein Ungeheuer". Ein österreichisches Volksstück - das ist für uns wieder ein ganz neues Feld zu beackern, sagt Kavin.
Mitteleuropäisches Theaterkarussell
Regelmäßig findet im Theater Brett das mitteleuropäische Theaterkarussell statt, ein Festival, wo Gruppen aus den östlichen Ländern eingeladen werden, ihre neuen Produktionen vorzustellen. Das wird nicht nur von den eingeladenen Ländern, sondern auch vom Bund, vom Außenamt und dem Bezirk gefördert. Mit Städten wie Prag, Budapest, Brünn und Bratislava pflegt man einen regen Austausch. Die hätten in den letzten Jahren, was die Theaterqualität betrifft, stark aufgeholt, meint Kavin.
Eine weitere Einnahmequelle für das Theater Brett sind die Vermietungen. "Leider müssen wir auch vermieten", meint Kavin. "Wir wollten immer ein offenes Haus sein und laden gerne Gruppen und Solisten ein, die uns gefallen und die wir unserem Publikum zeigen wollen. Doch die können wir nicht bezahlen. Das heißt, wir müssen das Theater ohne Auswahl vermieten, und damit verliert das Haus seit fünf Jahren sein Gesicht."
Viel Stammpublikum sei verloren gegangen, weil man kein Geld für die Post hatte und so die 6.000 Adressen von Interessierten unnötig wurden. Ein Teufelskreis, denn wenn kein Publikum mehr kommt, erhöht das nicht die Chance auf Förderung.
"Hier arbeiten bis zum Sterben"
Ludvik Kavin und Nika Brettschneider hängen an dem Haus, in das sie so viel investiert haben - ihre besten Jahre, und ihre psychische und physische Arbeitskraft. Das Haus hat sie geprägt und sie haben dem Haus ihren Stempel aufgedrückt. Hier wollen sie bleiben bis zum Schluss, doch die Visionen, die man für das Haus hat, sind längst nicht mehr rein künstlerischer Natur:
"Ich habe nur eine einzige Vision und die ist nicht schön, zu sagen. Ich möchte in diesem Theater sterben. Ich möchte hier arbeiten bis zum Sterben." Und Nika Brettschneider fügt relativierend hinzu: "Ich will nicht sterben beim Putzen des Theaters."
Service
Felix Mitterer, "Mein Ungeheuer", bis 16. April 2011, Theater Brett,
Ö1 Club-Mitglieder bekommen ermäßigten Eintritt (25 Prozent).
Theater Brett