Protest der Facebook-Generation

"#spanishrevolution" in Madrid

Seit Tagen hält eine bunt zusammengewürfelte Gruppe von Demonstranten einen Platz im Zentrum Madrids besetzt. Sie hatten sich am Sonntag über soziale Netzwerke spontan zu einer Kundgebung verabredet und wollen ihren Protest fortsetzen. Sie lehnen das bestehende Wirtschaftssystem ab, fordern eine soziale Verteilung der Güter und ein Verhältniswahlrecht. Von den etablierten Parteien fühlen sie sich jedenfalls nicht vertreten.

Mittagsjournal, 19.05.2011

Neue Protestaufrufe

"Sie nennen es Demokratie, aber es ist keine" – das ist einer der vielen Sprechchöre, die ausdrücken sollen, was die Menschen bewegt, sich trotz Regens auf einem Platz im Zentrum Madrids zu versammeln. Tausende waren es Mittwochabend, mehrere hundert von ihnen harrten unter Plastikplanen die ganze Nacht aus: auf Schlafsäcken, die gegen Feuchtigkeit und Kälte nur wenig ausrichten konnten. Trotz eines Versammlungsverbots auf dem Platz der Puerta del Sol wollen sie heute Abend zahlreich wie noch nie wieder zusammenkommen.

Die 21-jährige Kunststudentin Belen erklärt, was sie fordert: "Wir leben in einem demokratischen Land mit freier Meinungsäußerung, die Politiker sollten mich gefälligst auch vertreten. Ich fordere, dass die Politik meine Anliegen vertritt. Wenn sie schon sagen, dass wir eine Demokratie haben, sollen sie sich daran halten."

Facebook und Twitter

Am vergangenen Sonntag hatte ein Aufruf in sozialen Netzwerken die Protestbewegung ins Rollen gebracht. Rund zehntausend Menschen versammelten sich nach einem Appell in Facebook in Madrid zu einer Kundgebung; in anderen spanischen Städten fand der Aufruf ähnlichen Zulauf. Unter dem Stichwort "#spanishrevolution" langen seither im sozialen Netzwerk von Twitter Stimmungsberichte und Informationen im Sekundentakt ein. Der 22-Jährige Technikstudent Javier: "Das hätte schon vor Monaten stattfinden müssen. Die Krise mit einer Arbeitslosenrate von 20 Prozent ist nicht erst gestern aufgekommen. Das schwierigste haben wir erreicht, uns zu versammeln. Schön wäre es, wenn die Bewegung hier nicht enden würde."

Auch Ältere dabei

Die Teilnehmer sind entschlossen, ihren Protest auch nach dem Wahlsonntag fortzusetzen. Man sieht nicht nur jugendliche Demonstranten. Auch Vertreter der Elterngeneration sind mit dabei. Mit Essenspenden unterstützen sie die Teilnehmer. In einem Zelt werden Brote belegt, daneben organisieren Freiwillige eine Putzkolonne. Manuel, ein Mechaniker im Ruhestand, ist 78 Jahre alt: "Die Polizei hat auf die Teilnehmer eingeschlagen, das hat man im Fernsehen deutlich gesehen. Diese Bewegung war schon lange überfällig und sie erinnert mich an meine Jugend, in der ich auch im Gefängnis war."

40 Prozent Arbeitslosigkeit

Vor drei Jahren stürzte Spanien in die Krise. Eine Arbeitslosenrate von über 20 Prozent, die unter Jugendlichen und Studienabgängern bereits 40 Prozent erreicht haben soll, hat die Protestbewegung ausgelöst.

Wahlkampf "as usual"?

Die politischen Parteien, die derzeit einen einfallslosen Wahlkampf für die am kommenden Sonntag angesetzten Gemeinde- und Kommunalwahlen austragen, sind von der Bewegung völlig überrascht worden. Einige Politiker beeilten sich, Interesse an den Anliegen der Jugendlichen auszudrücken. Für die oppositionelle Volkspartei sind sie eine "berechtigte" Reaktion auf die Wirtschaftskrise. Mitglieder der regierenden sozialistischen Partei versprachen, die Forderungen der Demonstranten "Punkt für Punkt" zu klären – allerdings erst nach den Wahlen.