Langfristige Entscheidungen stehen an

Weichenstellung für Euro-Raum

In Brüssel muss die gesamte Finanzplanung der nächsten Jahre neu organisiert werden. Die Unentschlossenheit der Europäer, wie eine solche langfristige Hilfe aussehen kann und ob man vielleicht gar eine teilweise Pleite Griechenlands in Kauf nehmen soll, hat für alle Euroländern große Unsicherheiten gebracht.

Morgenjournal, 21.07.2011

Analyse von Raimund Löw

Zweifel an Entscheidungsfähigkeit

Nach monatelangem Hin und Her soll der heutige EU-Gipfel hier in Brüssel sowohl Griechenland mittelfristig finanziell absichern, als auch die Ansteckungsgefahr für andere Euroländer bannen. Der Euro selbst ist auf den internationalen Devisenmärkten unverändert stark. Aber die politische Unsicherheit rund die Griechenlandhilfe hat die Zweifel an der Entscheidungsfähigkeit der Europäer dramatisch erhöht.

110 Mrd. Euro

Eindringlich warnte Kommissionspräsident Barroso davor, die Vertrauenskrise in Europa auf die leichte Schulter zu nehmen: "Machen wir uns keine Illusionen, die Lage ist sehr ernst." Auf 110 Milliarden Euro wird der griechische Finanzbedarf in den nächsten drei Jahren geschätzt. Der Betrag müsste vom Euroschutzschirm, dem Internationalen Währungsfonds und von griechischen Privatisierungserlösen kommen. Das griechische Parlament hat als Vorleistung bereits die strengsten Einsparungen aller Zeiten beschlossen.

Kompromiss gesucht

Vor allem Deutschland und die Niederlande bestehen darauf, dass an der Sanierung auch Banken beteiligt werden. Aber wenn Besitzer griechischer Staatspapiere kein Geld mehr sehen, wäre das die Zahlungsunfähigkeit, von der man Schockwellen für den gesamten Euroraum befürchtet. An Kompromissvarianten wird seit Wochen hektisch gearbeitet. Der Eurorettungsschirm könnte die Zinsen senken und Laufzeiten verlängern, das würde Griechenland mehr Luft zum Atmen geben. Der Umtausch unsicherer griechischer Papiere mit deutlichen Abschlägen in sicherere europäische Anleihen wird ebenfalls überlegt. Frankreich plädiert für eine europäische Bankensteuer, mit deren Erträgen überforderte griechische Geldinstitute aufgefangen werden könnten.

Deutschland auf der Bremse

Mitzudenken ist dabei immer, dass jeder Schritt für Griechenland Präzedenzcharakter hat und tendenziell auch für andere Eurostaaten anwendbar sein sollte, die Opfer spekulativer Angriffe sind. Letztlich geht es somit um die Fähigkeit der Europäer, ihre Währung in turbulenten Zeiten zu verteidigen. Wie bei früheren Krisen auch stand in den letzten Tagen vor allem Deutschland auf der Bremse. Sogar der amerikanische Präsident Barack Obama rief deshalb Angela Merkel an, um auf die negativen Folgen für die Weltwirtschaft hinzuweisen, wenn die Europäer sich zu keinen klaren Entscheidungen durchringen können. Die Vorbereitungsgespräche des Gipfels wurden am Mittwoch kurzfristig aufs Eis gelegt, um abzuwarten, was Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy der vorsichtigen deutschen Kanzlerin Angela Merkel beim nächtlichen Abendessen abringen kann.