Harter Kurs löst Probleme nicht
Experte: Die Ruhe trügt
Mit seinem angekündigten Kurs der Härte gegen die Krawalle kann der britische Premier David Cameron möglicherweise bei der Wählerschaft punkten. Die explosive soziale Lage in Großbritannien werde er damit aber nicht entschärfen, ist der deutsche Gewaltforscher Wilhelm Heitmeyer sicher. Er sieht die aktuelle Ruhe skeptisch.
8. April 2017, 21:58
Mittagsjournal, 12.08.2011
Der deutsche Pädagoge Wilhelm Heitmeyer im Gespräch mit Barbara Weinzierl
Camerons Trugschluss
Der intensive Polizeieinsatz und das "hohe Repressionsniveau" werde nicht lange durchzuhalten sein, so Heitmeyer im Ö1 Mittagsjournal. Außerdem seien die Ursachen nicht beseitigt. Bei einem neuen emotionalen Ereignis könne die Gewalt sofort wieder aufflammen. Und wenn Cameron glaube, er könne den vorgesehenen Sozialabbau durch erhöhte Polizeipräsenz herstellen, "dann dürfte das ein enormer Trugschluss sein".
Rechtsfreie Räume in Satellitenstädten
Die Polizei gelte bei den gegnerischen Gruppen nach wie vor "als sichtbares Symbol des verhassten Staates bzw. Politik", sagt Heitmeyer. Die politischen Eliten hätten die Lage durch "Law-and-Order-Sprüche" noch angeheizt. Statt dessen hätten sie über die individuellen Hintergründe der jungen Generation nachdenken sollen. Denn daran habe sich nichts geändert, dass in den "abgehängten Stadtteilen der Großstädte" rechtfreie Räume entstanden seien. Dort gelte das Recht des Stärkeren, die soziale Kontrolle sei in vielen Elternhäusern ausgefallen.
Grundlegende Politikfehler
Eine rasche Lösung sieht der Gewaltexperte nicht: "Wenn sich Normenlosigkeit einmal ausgebreitet hat, sind das Sozialisationsprozesse. Die kann man nicht einfach mit einem Schalter beseitigen." Um das zu ändern, brauche es lange Zeit und etwa eine neue Art von Industriepolitik. Denn die Briten hätten sich auf die Finanzmärkte gestürzt und Arbeitsplätze für niedrig Qualifizierte vernachlässigt.
Kriminalisierung als Politstrategie
Zwar seien unter den Randalierern durchaus Kriminelle, und man könne auch alle Teilnehmer der Krawalle kriminalisieren, so Heitmeyer - eine poltische Strategie, um von den strukturellen Problemen abzulenken. "Aber kein Jugendlicher wird als Krimineller oder Gewalttäter geboren. Die haben sich ihre Lebensbedingungen und ihre Gesellschaft nicht ausgesucht." Jeder sei für seine Tat verantwortlich, aber für die Strukturen seien andere verantwortlich.
"Verachtung erzeugt Wut"
Die britische Gesellschaft sei geprägt von einem Klima, in dem die Herrschenden diese Leute verachten und missachten. "Das ist ein Klima, das ständig Wut erzeugt." Für Jugendliche werde dann Gewalt zur Anerkennungsquelle, die sie anders nicht mehr zur Verfügung haben.