Vorurteile traten klarer zutage

Nach 9/11: Muslime in Europa

Die Anschläge vom 11. September 2001 haben keine neuen Vorurteile gegen Muslime geschaffen, sagt der Politologe Olivier Roy, aber die vorhandenen Vorurteile sind plötzlich offen und mit voller Wucht an die Oberfläche getreten. Populisten in ganz Europa benutzen 9/11, um gegen Muslime Stimmung zu machen.

Mittagsjournal, 8.9.2011

Karin Koller

"Wendepunkt"

"Es hat nicht wirklich einen Wendepunkt in den Beziehungen zu den Muslimen in Europa nach 9/11 gegeben. Vorurteile waren gegen sie waren immer da. Das ist vor allem der Verdacht, dass Muslime sich nicht in Europa integrieren wollen, dass sie nur ihrer Religion gegenüber loyal sind, aber nicht gegenüber den Staaten, in denen sie leben", sagt Roy.

Das ist ein uralter Generalverdacht, der nach 9/11 vor allem von den Populisten in Europa weidlich ausgeschlachtet wurde.

Islamophobie verbindet Populisten

"Die Populisten in Europa heute verbindet eines, das ist die Islamophobie. Dabei sind die einzelnen populistischen Parteien da sehr unterschiedlich orientiert. Die klassischen Rechts-Außen-Parteien wie die von Jörg Haider zum Beispiel. Da gibt es aber auch Populisten wie Geert Wilders in den Niederlanden, dessen Partei per se nicht rechtsextrem ist. Viele Linke und Vertreter des Laizismus haben sich diesem populistischen Lager angeschlossen."

Vergleich mit Juden

Hinter der Angst vor dem Islam, die in den letzten zehn Jahren massiv zugenommen hat, stecke meist aber etwas ganz anderes.

"Der Islam dient derzeit als eine Art Projektionsfläche für alle Ängste der europäischen Gesellschaften. Die Ursache dieser Ängste liegt aber ganz woanders: in der Krise der Nationalstaaten, in Europa, in der Globalisierung etc. Es sind meist schwer fassbare Ängste, die sich aber auf irgendwie irrationale Weise auf den Islam konzentrieren, so wie in den 30er Jahren auf die Juden", vergleicht Roy.

Muslime "moderat"

Die Muslime in Europa ihrerseits würden auf diese verstärkte Diskriminierung moderat reagieren. Eine Radikalisierung unter den Muslimen in Europa könne er nicht feststellen, betont der Politologe: "Die Muslime gehen viel eher jetzt vor Gericht, um zum Beispiel ihr Recht auf Moscheen einzuklagen, als dass sie auf die Straße gehen."

Islamophobie "am Abklingen"

Haben die arabischen Demokratiebewegungen in Ägypten, Tunesien oder Libyen etwas am Image des Islams in Europa verändert? "Wir haben einerseits die rigorosen Gesetze wie das Anti-Burka-Gesetz in Frankreich oder das Anti-Minarett-Gesetz in der Schweiz, andererseits eben auch den arabischen Frühling, der auf große Sympathie in Europa stößt, aber auch das verheerende Attentat von Oslo, also gefährlichen Fundamentalismus aus den eigenen Reihen", so der Politologe.

Noch sei die Islamophobie in Europa sehr präsent, sagt Roy, aber es gebe Anzeichen, dass die extremen Auswüchse am Abklingen seien.