"Die Obrigkeit muss handeln"
Russland: Proteste gehen weiter
In Russland gehen die Massendemonstrationen auch am Wochenende weiter. Vor allem die russische Mittelschicht protestiert gegen das Ergebnis der Parlamentswahl, die zugunsten Wladmimir Putins Partei "Einiges Russland" gefälscht worden sein soll. Man müsse diese Proteste ernst nehmen, sagt die russische Politologin Olga Kamentschuk.
8. April 2017, 21:58
Morgenjournal, 10.12.2011
Markus Müller aus Moskau
Die Mittelschicht geht auf die Straße
Die Behörden mobilisieren Polizei und Armee, die Demonstranten mobilisieren im Internet. 10.000 Menschen werden bei Kundgebungen am Wochenende erwartet. Die Obrigkeit habe mit ihren Wahlfälschungen die neue Mittelschicht gegen sich aufgebracht, sagt die Politikwissenschafterin Olga Kamentschuk, Mitarbeiterin am größten russischen Meinungsforschungsinstitut Wziom.
Bei denen, die jetzt auf die Straße gehen, handle es sich um "intelligente Leute mittleren Alters", so Kamentschuk. "Das ist vor allem die Mittelklasse, die gehofft hat, dass Präsident Dmitri Medwedew das Land modernisieren wird. Und jetzt haben sie ihren Glauben an die Politik und an ihre Mitsprachemöglichkeit verloren."
"Proteste haben alle überrascht"
Die Kundgebungen nach den Parlamentswahlen vom vergangenen Sonntag hätten nicht nur die Obrigkeit, sondern auch politische Beobachter überrascht, so die Politikwissenschaftlerin. Denn niemand habe erwartet, dass so viele Menschen an den Protesten teilnehmen würden, sagt Kamentschuk. 10.000 Demonstranten, wie etwa am Montag, seien in Russland "sehr, sehr viel".
Jetzt komme es darauf an, wie die Obrigkeit reagiere. Kamentschuk: "Eine massive Unterdrückung könnte genau das Gegenteil dessen erreichen, was die Regierung will."
Regierung unter Handlungsdruck
Denn: "Wenn es zu Blutvergießen kommt, wird es schwer, die Menge aufzuhalten. Sie bekommt dann mehr Rückhalt in der Bevölkerung und es entstehen Märtyrer." Die Obrigkeit müsse ihre Schlüsse aus den Ereignissen ziehen. Kamentschuk: "Zuletzt hat sie die Menschen wie eine Herde Schafe behandelt, die man zu nichts anderem braucht, als alle vier Jahre irgendwo ihr Kreuz zu machen."
"Kein russischer Frühling"
Dass ein russischer Frühling nach Vorbild der arabischen Länder ausbricht, glaubt Kamentschuk nicht. Das Land werde zwar autoritär geführt, sei aber keine Diktatur. Und die Regierung habe in der Zeit vor den Parlamentswahlen sehr viel Geld für Sozialleistungen ausgegeben, um den Lebensstandard der Menschen zu heben. Dazu komme, dass es in Russland keine wirkliche Opposition gebe.
Die Proteste seien ein Warnsignal der Bevölkerung. Die Regierung müsse die Anliegen ihrer Bevölkerung ernst nehmen und das politische System erneuern, so die Politikwissenschaftlerin.