Kein Vertrauen in Demokratie-Vorschläge
Medwedews Ankündigungen "zu spät"
Russlands Präsident Dimitri Medwedew hat einige Gesetzesvorhaben ins Parlament eingebracht, mit denen das Land demokratischer werden soll. In seiner gestrigen Rede zur Lage der Nation hatte Medwedews diese Reformen angekündigt. Die Reaktionen auf die Initiative des Präsidenten sind zurückhaltend.
8. April 2017, 21:58
Mittagsjournal, 23.12.2011
Analyse von Markus Müller aus Moskau
Reformen kommen zu spät
"Zu wenig, zu spät", so lautet ein Zeitungskommentar zur gestrigen Rede von Präsident Dmitri Medwedew. "In seiner letzten Rede sagt der Präsident endlich, was wir von ihm eigentlich schon am ersten Tag hätten hören wollen", schreibt die regierungskritische Novaja Gaseta. Und die Wirtschaftszeitung Vedeomosti ergänzt: "Die angekündigten Reformen kommen auf jeden Fall zu spät".
Mehr Demokratie
Mit dem heute eingebrachten Gesetzesvorschlag soll die Zulassung von Parteien erleichtert werden. Statt 45.000 registrierten Mitgliedern müssen Parteien künftig nur mehr 500 Mitglieder haben, um vom Staat anerkannt zu werden. Außerdem sollen Parteien in Zukunft keine Unterschriften mehr sammeln müssen, um zu Wahlen zugelassen zu werden. Bei seiner gestrigen Rede hatte Medwedew außerdem angekündigt dass Gouverneure und regionale Politiker in Zukunft wieder direkt gewählt und nicht vom Kreml ernannt werden sollen, außerdem soll die Korruption von Amtsträgern schärfer als bisher bekämpft werden.
Putin müsste Ankündigung umsetzen
Der Kampf gegen die Korruption war schon bisher ein großes Thema in den Reden des Präsidenten. Unabhängige Beobachter wie die Organisation Transparency International bestätigen aber, dass die Korruption in Russland seit der Amtsübernahme Medwedews nicht schwächer, sondern deutlich stärker geworden ist. Außerdem werde es nicht Medwedew sein, der all diese Reformen umsetzen wird, heißt es etwa im Radiosender Moskauer Echo. Die Umsetzung liege bei seinem Nachfolger, der voraussichtlich Wladimir Putin heißen wird. Kein Grund also, den Ankündigungen von Medwedew allzu großen Glauben zu schenken.
Führung hält an Macht fest
Die Führung versucht offenbar, der Protestbewegung den Wind aus den Segeln zu nehmen. Das zeigt auch ein Interview von Wladislaw Surkow, dem obersten Spin-Doktor des Kreml, in der Zeitung Isvestia. Es sei der beste, der produktivste Teil der Gesellschaft, der jetzt auf die Straße gehe und Änderungen einfordere. Die Obrigkeit müsse diese Forderungen ernstnehmen und wohlwollend auf sie reagieren. Eine Wortwahl, die zeigt, wie die die Führung die Lage einschätzt und dass sie nicht bereit ist, ihre Macht ernsthaft in Frage stellen zu lassen.
Unzufriedenheit steigt
Gerade weil die Reaktion der Führung so oberflächlich und durchschaubar ist, steigt die Unzufriedenheit. Laut einer Umfrage des Meinungsforschungsinstitutes Levada teilt mehr als ein Viertel der Russen die Forderung der Demonstranten nach Neuwahlen. In Moskau ist es sogar mehr als die Hälfte. Und wären heute Präsidentschaftswahlen, würde Wladimir Putin laut dieser Umfrage nur 38 Prozent der Stimmen bekommen.
Spannung vor Großdemo
Auch der letzte Präsident der Sowjetunion, Michail Gorbatschow, hat sich zu Wort gemeldet. Die Demonstranten würde das Erbe der Perestroika weiterführen, meint er, und es werde nicht noch einmal gelingen, die Russen einzuschüchtern. Auch Gorbatschow fordert eine Neuwahl des Parlaments. Gleichzeitig steigt die Spannung vor der für morgen angekündigten Großdemonstration. Die Organisatoren erwarten bis zu 100.000 Teilnehmer.