Einblicke in Skripten aus den 60er-Jahren
Schockierende Psychiatrie-Methoden
Für die umstrittenen Methoden der Wiener Psychiatrie in den 60er Jahren in Österreich gibt es schriftliche Belege. Neben Infektionen mit Malaria werden darin auch Elektroschocktherapien geschildert und Insulin-Schocks, durch die psychisch kranke Patienten sogar ins Koma versetzt wurden.
8. April 2017, 21:58
Morgenjournal, 23.3.2012
E-Schock als "Therapie der Wahl"
Die bisher bekannte und kritisierte Infektion mit Malaria wird in einem damals unter Studenten der Wiener Uni verkauften Psychiatrie-Skriptum erwähnt. Und aus heutiger Sicht wirkt es wie eine Anleitung zur Folter, was in den Ö1 vorliegenden Skriptenteilen steht. Zwei bis drei Elektroschocks an den Schläfen werden als "Therapie der Wahl" vorgeschlagen, wenn manisch-depressive Patienten in der Depression sind. Dann der Hinweis: Die Schock-Angst der Patienten sei groß und der E-Schock nicht sehr ästhetisch, aber der Erfolg ein schlagender.
Gefahr von Knochenbrüchen
Die Psychologin Rotraut Erhard hat als Praktikantin Elektroschocks an der sogenannten "Klinik Hoff" gesehen und ist heute noch entsetzt: "Die Leute haben die Ärzte vorher angefleht, dass sie keine Schocks bekommen. Und wenn sie diesen elektrischen Schlag bekommen haben, hat sich der Körper aufgebäumt, wie man es normalerweise nicht sieht, wie das Menschen normalerweise nicht tun. Und sie haben ganz schrecklich geschrieen." Der Psychiater Ernst Berger sagt, es habe auch die Gefahr von Knochenbrüchen bestanden - durch die Muskelkontraktionen bei Elektroschocks.
Durch Insulin-Schock ins Koma
Nicht minder dramatisch lesen sich in dem Skriptum zur Vorlesung des Psychiaters Hans Hoff die Anleitungen zur Insulin-Schock-Therapie. Zitat: "Man lässt den Patienten eine halbe Stunde im Koma." Und zwar durch Insulinverabreichung und dadurch erreichte Senkung des Blutzuckerspiegels bei paranoid schizophrenen Patienten. Auch Insulin-Kuren mit E-Schock kombiniert wurden gelehrt. Zitat: "Man bekommt den Patienten bisweilen mit Zucker nicht aus der Bewusstlosigkeit." Man musste diese etwa durch Intubation und Beatmung bekämpfen.
Dabei dürften die Insulinschocks wirkungslos gewesen sein. Psychiater Ernst Berger: "Als dann in der zweiten Hälfte der Fünfziger-Jahre in wissenschaftlichen Arbeiten die Wirkungslosigkeit nachgewiesen wurde, hat man auf den Insulin-Schock zunehmend verzichtet." Doch das Skriptum wurde jedenfalls noch Mitte der 1960er Jahre verkauft.
Mangel an wirksamen Therapien
Geboren waren die Schock-Therapien wohl aus der Not, meint Berger sinngemäß. Mangels nachweislich wirksamer Methoden habe man solche angewandt, von denen man hoffte, dass sie wirken. Zum erhofften Wirkmechanismus erklärt der Psychiater, "dass eine Erinnerungslücke ausgelöst wird und dass die der Wirkmechanismus sein könnte, der die psychische Erkrankung dann beeinflusst und verbessert."
Zwar gab es in den 1960er Jahren auch schon Psychopharmaka, auch sie werden in dem Skriptum erwähnt, im Vergleich zu heute waren das aber nur wenige Medikamente, sagt Berger. Dass Schocktherapien oder auch die Infektion mit Malaria großteils aus Sadismus oder als Strafe angewandt wurden, glaubt er nicht - im Einzelfall sei das freilich nicht auszuschließen.