Interesse an schriftlichen Belegen
Historiker untersuchen Psychiatriemethoden
Für die Anwendung der "Malaria-Therapie" und für andere umstrittene Methoden der Wiener Psychiatrie in den 60er Jahren gibt es jetzt erste schriftliche Belege. Und für diese Belege interessiert sich nun auch eine von der Wiener Medizin-Uni eingesetzte Historikerkommission.
8. April 2017, 21:58
Akte mit Fieberkurve
Ein Vorlesungsskriptum, das Ö1 vorliegt - wir haben berichtet- enthält genaue Angaben über die Verabreichung von Insulin-Schocks, Elektro-Schocks und gezielte Infektion mit Malaria. Und der "Kurier" berichtet von einer Patientenakte, in der die Anwendung der Malaria-Therapie beschrieben wird. Die Krankenakte zeigt das Auf und Ab der Fieberkurve des damals 17-jährigen Patienten Peter Schleicher. Nach der gezielten Infektion mit Malaria pendelt das Fieber 37,5 und knapp 41 Grad. Und ein Arzt hat damals, 1962, laut Kurier notiert: "Patient ist sehr unruhig, erschöpft, klagt über Herzflattern. Fürchtet sich zu sterben."
Aus Angst vor Elektroschocks geflohen
Ein Monat später steht das Wort "entlassen" in der Krankenakte. Doch Peter Schleicher war seiner Aussage zufolge mit Hilfe von Freunden aus der Wiener Psychiatrie geflohen - aus Angst vor drohenden Elektroschocks. Elektroschocks, Insulinschocks mit folgender Bewusstlosigkeit und Koma und die sogenannten Malaria-Kuren sind auch Teil eines Vorlesungsskriptums aus der Mitte der 60er Jahre über das Ö1 im Morgenjournal berichtet hat.
War Vorgangsweise gerechtfertigt?
Für diese neu aufgetauchten schriftlichen Unterlagen interessiert sich nun die von der Medizin-Uni eingesetzte Historiker-Kommission unter dem Vorsitz von Gernot Heiß. Was die Kommission herausfinden soll, betrifft besonders die "Malaria-Fieber-Kuren" zur vermeintlichen Heilung von psychiatrischen Krankheiten, aber auch E- und Insulinschocks: War die jeweilige Methode aus damaliger Sicht noch zu rechtfertigen oder war sie schon veraltet und wurde sie nur aus Traditionsgründen aufrecht erhalten?
Nur vage Hinweise
Bisher liegt der Historiker-Kommission nur ein vager wissenschaftlicher Hinweis vor: eine Habilitationsschrift, in der von zwei mit Malaria infizierten psychisch Kranken die Rede ist, unklar ist, wann sie infiziert wurden. Außerdem gibt es Hinweise auf ein deutsches Kinderheilkunde-Buch in dem 1972 noch die damals schon veraltete Malaria-Therapie erwähnt sein soll. Sowie Hinweise, dass sie in den 50er und 60er Jahren auch in Frankreich angewandt wurde.
Methode in entschärfter Form
Elektroschocks werden sogar heute noch angewandt bei besonders schweren Depressionen - allerdings in deutlich harmloserer Form als in den 60er Jahren, sagt der Kinderpsychiater Ernst Berger: Der Patient selber merke davon gar nichts mehr, "weil er in einer Kurzzeit-Narkose ist, unter vollständiger Entspannung seiner Muskulatur, sodass die früher bei den alten Schockformen aufgetretenen Muskelkrämpfe mit der Gefahr von Knochenbrüchen etc. absolut ausgeschlossen sind." Früher hingegen seien sogar Todesfälle infolge von Schock-Behandlungen nicht auszuschließen gewesen. Im Umgang mit den noch lebenden Betroffenen empfiehlt Berger, dass Ihnen psychotherapeutische Hilfe angeboten werden sollte - wie anderen Gewaltopfern auch.