Ruf nach mehr Transparenz
Medikamententests: Firmen halten Daten zurück
Jedes Medikament, das in Europa auf den Markt kommt, wird vorher in klinischen Studien genauestens getestet. Das Problem dabei ist aber, dass diese Studien in der Regel vom Hersteller selbst durchgeführt und finanziert werden. Und manche Pharmakonzerne machen nur jene Ergebnisse öffentlich, die sie für notwendig halten - oder die für sie von Vorteil sein könnten.
8. April 2017, 21:58
Mittagsjournal, 30.3.2012
Modellfall Tamiflu
Gegenüber den Zulassungsbehörden ist der Hersteller gesetzlich verpflichtet, alle Studiendaten im Detail offen zu legen. Aber wie sieht es bei unabhängigen Institutionen aus, die diese Studien nochmal nachprüfen? Die nach dem britischen Arzt Archibald Cochrane benannte Institution Cochrane-Zentrum in Freiburg, Deutschland, hat es sich zur Aufgabe gemacht, klinische Studien zu einem Themenbereich zu sammeln, zusammenzufassen und zu bewerten. So zum Beispiel die Wirksamkeit von Tamiflu. Das ist jenes Grippemedikament, das vor ein paar Jahren im Zusammenhang mit der Schweinegrippe und Jahre davor auch bei der Vogelgrippe als Gegenmittel in aller Munde war.
Bei Tamiflu gebe es viele Studien zur Wirksamkeit, sagt Gerd Antes vom Deutschen Cochrane-Zentrum. Ein internationales Forscherteam hat kürzlich einige dieser Studien nochmals geprüft. Doch das Problem dabei: "Von diesen Studien sind weit über die Hälfte nicht publiziert worden." Die Öffentlichkeit habe keine Zugang. Die Forscher konnten sich also bei der Überprüfung nur auf jene Daten stützen, die auch tatsächlich öffentlich gemacht worden waren.
Wichtige Daten zurückgehalten
Was öffentlich gemacht wird, das entscheidet der Hersteller des Medikaments. Denn im Regelfall ist er für die Durchführung der Studien zu seinen Produkten verantwortlich und damit auch Inhaber der Daten. Und häufig scheint es so zu sein, dass viele wichtige Daten beim Hersteller bleiben, sagt Gerd Antes. "Es sieht sogar so aus, dass die Autoren diese Arbeit nie gesehen haben. In dem Fall muss man offenbar von Ghostwriting sprechen. Das heißt, man hat gar nicht alles gesehen. Die Formulierungen, die die Analysen beschreiben, stammen nicht von den Autoren."
Alle "notwendigen" Daten offengelegt
Das internationale Forscherteam hat den Hersteller von Tamiflu mehrmals aufgefordert, alle Daten offenzulegen, die für eine umfangreiche und lückenlose Überprüfung notwendig wären. Der Pharmakonzern versichert, den Cochrane-Forschern stets alle notwendigen Daten offengelegt zu haben. Außerdem heißt es auf Anfragen von Ö1, dass generell alle abgeschlossenen klinischen Studien zu Tamiflu für die Wissenschaftswelt zugänglich seien. Doch das sei schlichtweg nicht richtig, meint der britische Cochrane-Wissenschaftler Tom Jefferson.
Bemerkenswert sei auch, dass die amerikanische Zulassungsbehörde FDA und ihr europäisches Pendant, die EMA, bei der Zulassungsüberprüfung von Tamiflu zwei unterschiedliche Schlüsse gezogen haben. Laut FDA lindere Tamiflu zwar Symptome, verhindere aber keine Komplikationen, und es gebe auch keine Hinweise darauf, dass es die Übertragung der Krankheit verhindere. Die EMA dagegen kam zum Schluss, dass Tamiflu das alles sehr wohl leiste.
Gesetzliche Verpflichtung gefordert
Lässt sich nun die Wirkung von Tamiflu überhaupt vollständig überprüfen? Aus Sicht der Forscher offenbar nicht zur Gänze. Denn es stehen eben nur jene Unterlagen zu Verfügung, die vom Pharmakonzern als ausreichend erachtet werden. Die Forscher des Cochrane-Zentrums wollen mehr Transparenz und fordern deshalb eine gesetzliche Regelung, die jeden, der eine Studie durchführt, dazu verpflichtet, seine Daten uneingeschränkt unabhängigen Forscherteams offen zu legen. In der Schweiz sei eine solche Regelung bereits auf Schiene, Deutschland und Österreich hinken aber hier noch hinterher, sagt Antes.