Was Janukowitsch bewegt

Fall Timoschenko: Macht und Milliarden

In der Ukraine kommt Präsident Janukowitsch immer mehr unter Druck, die Oppositionspolitikerin Julia Timoschenko aus der Haft zu entlassen und in ein Berliner Krankenhaus zu überstellen. Doch weder Timoschenkos Hungerstreik noch der Politiker-Boykott der Fußball-EM oder die Absage des Gipfels in Jalta haben auf Janukowitsch großen Eindruck gemacht.

Morgenjournal, 9.5.2012

Karin Koller berichtet aus Kiew.

Es geht um Milliarden

Der ukrainische Präsident ist bekannterweise ein begeisterter Fußballfan –die EURO 2012, bei der die Ukraine mit Polen als Gastgeber fungiert, ist Janukowitsch größtes Liebkind, sein Prestigeprojekt schlechthin. Doch hinter all der Fußballbegeisterung Janukowitsch stecken beinharte wirtschaftliche Interessen, sagt Aljona Getmanchuk, die Leiterin des Institutes für Weltpolitik in Kiew: "Die EURO ist ein gigantisches Business für Janukowitsch und seinen Clan. Alle Großprojekte wurden vom sogenannten Donezker-Kreis, also den engsten Vertrauten Janukowitschs aus seiner Heimatstadt Donezk, gebaut. Hier geht es um Milliarden-Projekte, an denen sich die derzeitige politische Elite des Landes bereichert hat."

Hauptsache volle Stadien

Finanziell hat sich sozusagen die EM 2012 für den ukrainischen Präsidenten schon ausgezahlt, noch bevor die Spiele überhaupt begonnen haben. Ob da jetzt europäische Politiker in die Ukraine kommen oder nicht, ist von diesem Standpunkt her nebensächlich, sagt die Expertin: "Natürlich würde Janukowitsch gerne mit wichtigen Staatsgästen posieren, er glaubt sicherlich noch immer, dass der ein oder andere europäischer Politiker doch noch vorbeischaut. Aber wenn nicht, den ukrainischen Fußballfans wird das nicht groß auffallen, Hauptsache, die Spiele gehen gut über die Bühne. Etwas anderes wäre es natürlich, wenn auch die europäischen Fußballfans ausbleiben würden oder mit Pro-Timoschenko-T-Shirts hier auftauchen." Das wäre für Janukowitsch wirklich peinlich, betont Aljona Getmanchuk. Halbleere Stadien ließen sich auch im staatlich gut kontrollierten Fernsehen nicht mehr wirklich verbergen.

Triebfeder Machterhalt

Doch persönliche Eitelkeit ist nicht die wichtigste Triebfeder nach der Janukowitsch funktioniert. Wichtiger als Prestige und europäische Anerkennung ist ihm der Machterhalt im eigenen Land, so Getmanchuk: "Wenn Janukowitsch die Wahl hat, in Europa isoliert zu werden oder an der Macht zu bleiben, dann wählt er letzteres: die Macht. Wenn er Timoschenko freilässt, dann ist die Gefahr einfach zu groß, dass sie in den Wahlkampf steigt – im Oktober finden Parlamentswahlen statt – und dass die Opposition gewinnt." Es sei aber schwer vorauszusagen, wie Janukowitsch im Fall Timoschenko agieren wird. Es hafte dem so etwas Irrationales an. Timoschenko sei seine persönliche Feindin, das ist das eine, sagt Aljona Getmanchuk, aber wenn es für Janukowitsch und seinen Clan attraktiver ist, den Feind gut isoliert in einem Berliner Krankenhaus liegen zu haben, dann könnte es sein, dass Janukowitsch einer Überstellung Timoschenkos in die Berliner Charité doch noch zustimmt. Janukowitsch würde das aber aus rein machtpolitischem Kalkül heraus tun, betont Aljona Getmanchuk, und sicherlich nicht um Europa zu gefallen.

Timoschenkos Tochter hat am Dienstag angekündigt, dass ihre Mutter auf Anraten ihres Arztes den Hungerstreik beenden wird. Mittwochfrüh ist Timoschenko aus ihrer Gefängniszelle in Charkiw in ein örtliches Krankenhaus verlegt worden