Syrien - Türkei: Erst Freund, jetzt Feind

Das Verhältnis Syriens zum Nachbarland Türkei wird mit immer gespannter. Der Abschuss eines türkischen Militärflugzeuges vor drei Wochen in der Nähe der syrischen Küste wirft immer mehr Fragen auf. Das türkische Militär widerspricht der Politik. Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan und sein Außenminister Ahmet Davatoglu geraten wegen ihrer Syrien-Politik immer mehr in die Kritik.

Morgenjournal, 14.7.2012

ORF-Korrespondent Christian Schüller berichtet aus Istanbul.

Widersprüche bei Erklärungen

Tayyip Erdogan hält es nicht gut aus, wenn man ihm widerspricht. Als das "Wall Street Journal" vor kurzem die offizielle türkische Erklärung zum Absturz des F4-Jets in Frage stellte, wies Erdogan das entrüstet zurück. Doch nun ist es sein eigener Generalstabschef, der solchen Zweifeln neue Nahrung gibt und den starken Mann der Türkei in Verlegenheit bringt.

Es gebe bisher keine Spur von einem Raketenbeschuss, sagt General Özel, räumt aber ein, die Untersuchung der Wrackteile sei noch nicht abgeschlossen. Türkische Zeitungen spekulieren bereits über die Möglichkeit, es könnte sich doch um einen Unfall gehandelt haben. Jedenfalls hat die Armeeführung sich bereits sechs Mal mit teilweise verschiedenen Versionen zu Wort gemeldet. Die Regierung, die sich nach dem Vorfall beeilt hatte, einen Angriff durch eine syrische Rakete zu bestätigen, gibt sich jetzt zugeknöpft.

Türkei hat Einfluss überschätzt

Diese Widersprüche lassen zunehmend die gesamte Syrien-Politik der Türkei ins Kreuzfeuer der Kritik geraten, von rechter wie von linker Seite. Wie könne es sein, dass die Türkei innerhalb weniger Monate vom engen Freund Assads so schnell zum Anführer seiner Gegner wurde, und sich jetzt mit der Rolle des ohnmächtigen Zuschauers begnügen müsse?

Diese Frage stellen auch Kommentatoren, die der AKP-Regierung und ihren Großmachtambitionen vor kurzem noch freundlich gesinnt waren. Einig ist man sich darin, dass der türkische Regierungschef und sein Außenminister ihren Einfluss auf die Nachbarschaft überschätzt haben: Einmal als sie davon ausgingen, dass der syrische Präsident Bashar al-Assad sich von ihnen zu Reformen überreden ließe. Das zweite Mal als sie dachten, ihre Drohungen und Warnungen würden das belagerte Regime rasch zum Kippen bringen.

Erdogan beugt sich Druck von außen

Beides hat sich als Illusion erwiesen. Ankaras Zickzackkurs in der Syrien-Politik könnte nur durch politischen Druck von außen erklärt werden, sagen die Kritiker. Nach Meinung der Opposition könnte dieser Druck diesmal weniger von der NATO gekommen sein, als von Saudi-Arabien, das eine sunnitische Regierung in Damaskus anstrebt, und auf die türkische Regierungspartei einigen Einfluss haben soll.

Konservative Kritiker halten es für möglich, dass Erdogan vom eigenen Militär hinters Licht geführt wird, zumindest seit dem Informationsfiasko um den Absturz des Aufklärungsflugzeugs könnte man diesen Eindruck gewinnen. Seit Erdogan den politischen Einfluss des Militärs beschnitten hat und viele Generäle als mutmaßliche Putschisten im Gefängnis sitzen, sind die Beziehungen gespannt.

Glaubt man aktuellen Umfragen, sind die Wähler gespalten. Etwa die Hälfte ist mit Erdogans Syrien-Politik einverstanden. Doch die Zeit, als der türkische Regierungschef sich als Held der arabischen Revolution feiern lassen konnte, scheint fürs Erste vorbei.

Übersicht

  • Naher Osten