Türkei: Kurdische Häftlinge im Hungerstreik
In der Türkei sind mehr als 680 kurdische Häftlinge seit 55 Tagen im Hungerstreik. Sie fordern die Freilassung des seit 13 Jahren inhaftierten PKK-Führers Abdullah Öcalan. Die Bemühungen um eine politische Lösung des Kurden-Konflikts, der bisher 40.000 Menschenleben gefordert hat, scheinen wieder einmal in der Sackgasse zu stecken.
8. April 2017, 21:58
Mittagsjournal, 5.11.2012
Hungestreiks verstärken Kluft im Land
Was die kurdischen Häftlinge mit ihrem Hungerstreik erzwingen wollen, ist für die türkische Regierung ausgeschlossen: Den PKK-Führer Abdullah Öcalan nach 13 Jahren aus der Einzelhaft zu entlassen, das kommt für Regierungschef Erdogan nicht in Frage. Und doch ist Erdogans Regierung unter Druck geraten. Sollte einer der über 680 hungernden Häftlinge sterben, könnte das die Polarisierung des Landes weiter vertiefen.
In vielen türkischen Städten wird für die Hungerstreikenden demonstriert. Immer wieder werden diese Kundgebungen von der Polizei gewaltsam aufgelöst.
Während die Einen die Härte der Regierung loben, kritisieren auch Anhänger des Regierungslagers, dass Erdogan sich mit seiner Kurden-Politik in
eine Sackgasse manövriert habe.
Erdogan in der Offensive
Noch vor ein paar Tagen hat der Regierungschef geleugnet, dass es den Hungerstreik in mehr als 60 türkischen Gefängnissen überhaupt gebe. Und das
nachdem viele der Protestierenden bereits seit mehr als 50 Tagen nichts mehr zu sich genommen hatten.
Nachdem er das Problem lange weggeschoben hatte, ging Erdogan dann plötzlich in die Offensive. Viele Türken könnten sich vorstellen, die Todesstrafe wieder einzuführen, sagte der Regierungschef. Und deutete damit an, wer dann der erste Kandidat wäre: Jener Abdullah Öcalan nämlich, dessen Todesurteil vor 10 Jahren auf Druck der Europäischen Union ein eine lebenslange Haftstrafe umgewandelt wurde. Doch dass die Türkei die Todesstrafe wieder einführen könnte, glaubt hier niemand. Vielmehr sind Erdogans Drohungen oft an Dritte gerichtet. In diesem Fall an die EU, die – aus türkischer Sicht – alle Reformbemühungen Ankaras ignoriert und die Beitrittsverhandlungen verschleppt.
PKK Netzwerk unzerstörbar
Doch Seitenhiebe gegen die Europäer werden Erdogan nicht helfen, mit dem Kurden-Problem fertig zu werden. Nach dem dritten Wahlsieg seiner AKP hatten viele gehofft, die von ihm versprochene neue Verfassung werde den Weg zu einer politischen Lösung ebnen.
Doch wie es nun aussieht, wird diese neue Verfassung in dieser Regierungsperiode nicht mehr zustande kommen. Groß angelegte Militäraktionen fügen der kurdischen PKK zwar immer wieder schwere Verluste zu, können sie aber nicht zerstören. Im Gegenteil: Das Netzwerk der PKK ist in den letzten Jahren stärker geworden und reicht heute viel weiter in die Zivilgesellschaft.
Anfang Oktober hat Erdogan Verhandlungen mit Vertretern der PKK angekündigt. Doch der Hungerstreik der kurdischen Häftlinge mache solche Gespräche jetzt unmöglich, heißt es von Regierungsseite. Denn unter öffentlichem Druck will man sich nicht an den Verhandlungstisch setzen.
So vergeht weiterhin wertvolle Zeit. Und die eigentliche Frage, wie verschiedene Kulturen im türkischen Staat künftig zusammen leben sollen, die wird noch mehr in den Hintergrund gedrängt.