Stirbt Frankreich als Industriestandort?

Frankreichs Präsident Francois Hollande hat seit seinem Amtsantritt vor 10 Monaten mit einer weiterhin schwer kränkelnden Wirtschaft zu kämpfen – immer wieder kommen vor allem aus Großbritannien, aber auch aus Deutschland Töne, wonach Frankreich – die zweitgrößte Volkswirtschaft der EU - in der Eurozone das nächste große Problem darstellen könnte. Eine Analyse über den Zustand der französischen Wirtschaft und die Versuche von Präsident Hollande und seiner sozialistischen Regierung, aus dem Dilemma herauszukommen.

Mittagsjournal, 16.3.2013

Aus Paris,

Drückende Arbeitslosigkeit

Auf dem EU Gipfel in Brüssel, gestern und vorgestern, ging es unter anderem um die sozialen Folgen der Wirtschaftskrise in der EU. Dabei wurden erneut die Differenzen zwischen denen deutlich, die eine strikte Sparpolitik fordern und jenen, die mehr Flexibilität bei der Haushaltskonsolidierung fordern und eine stärker wachstumsorientierte Politik. Zu letzteren gehört ganz eindeutig Frankreich und dessen Präsident, Francois Hollande.

Fast Gebetsmühlenhaft sagt Frankreichs Präsident seit Monaten: die Hauptsorge und die absolute Priorität unserer Regierung ist die Arbeitslosigkeit und der Kampf für mehr Beschäftigung. Doch eine Trendwende an der Beschäftigungsfront lässt sich absolut nicht ausmachen.

Im 21. Monat hintereinander sind die Arbeitslosenzahlen auch im Februar weiter gestiegen, auf jetzt 10,6 Prozent oder fast 3,2 Millionen, so viele wie seit 15 Jahren nicht mehr. Es vergeht praktisch kein Tag, der am Morgen nicht mit der Meldung von einer Fabrikschließung, von Stellenabbau oder dem drohenden Bankrott eines Unternehmens beginnt. Das Wort von der Desindustrialisierung Frankreichs ist bittere Realität: seit dem Jahr 2000 sind in diesem Land über 700.000 Industriearbeitsplätze verloren gegangen, zahlreiche Statistiken im internationalen Vergleich sind geradezu erschütternd. Zu Beginn des Jahrtausends stand Frankreich bei der Zahl der im Land produzierten Autos weltweit noch hinter Deutschland an 4. Stelle - vergangenen Monat war man auf Platz 13 hinter Thailand abgerutscht, während der Nachbar Deutschland im selben Zeitraum nur einen einzigen Platz verloren hat:

Von Blockierungen in diesem Land, die es zu überwinden gelte sprach Präsident Hollande diese Woche, von zu langsamen Reaktionen auf neue Entwicklungen, von der Schwerfälligkeit der Prozeduren und von einer Apathie, die sich breit mache bei den Mitbürgern, die denken Frankreich nehme keinen Platz mehr ein und habe keine Zukunft, weil sie sich selbst herab gestuft fühlten und meinten, man könne sich hinter den eigenen Grenzen verbarrikadieren.

Zu wenig konkurrenzfähig

Der Grund für den herrschenden Pessimismus und die marode Situation der Industrie: Französische Produkte sind immer weniger konkurrenzfähig, weil zum Beispiel die Lohnstückkosten im letzten Jahrzehnt hierzulande um 28% gestiegen sind, während es in Deutschland nur 8 waren. Gleichzeitig hat Frankreich, besonders die französische Industrie, in den letzten zwei Jahrzehnten zu wenig in die Forschung investiert und sich nicht genügend auf Qualitätsprodukte konzentriert.

Und Kritiker sagen auch, der französische Staat habe über zu lange Zeit Sektoren unterstützt, die mittelfristig keine große Zukunft mehr haben, anstatt innovativen Branchen unter die Arme zu greifen. Der Wirtschaftswissenschaftler Patrick Artus betont, Frankreichs Wirtschaft leide in diesen Krisenzeiten nicht unter mangelnder Nachfrage, sondern habe einfach nicht mehr genügend anzubieten: In der Industrie ruft eine steigende Nachfrage hierzulande keinerlei steigende Produktion mehr hervor. Das ist ein großer Unterschied zu Deutschland. Wenn es in China einen Boom gibt, explodiert der deutsche Export in Richtung China, der französische bewegt sich nicht. Das heißt: unser Produktionsapparat ist schlicht nicht mehr in der Lage, auf Konsumanreize zu reagieren.

Gleichzeitig scheint in Regierungskreisen die Angst vor der Radikalisierung protestierender und verzweifelter Arbeiter zuzunehmen. Der Innenminister hat jüngst die Präfekten in allen Departements des Landes angewiesen, die Entwicklungen in von Schließungen bedrohten Unternehmen ganz besonders im Auge zu behalten.

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