Italien: Ohne Ausweg in der Krise

In Italien erschüttert ein dreifacher Selbstmord aus sozialer Not die Öffentlichkeit. In einer Gemeinde in der Region Marken in Mittelitalien hat sich ein älteres Ehepaar das Leben genommen, weil es nicht mehr weiter wusste. Der Bruder der Frau nahm sich unmittelbar darauf ebenfalls das Leben.
Der Fall wirft ein Licht auf die soziale Realität, auf die Tatsache, dass die Wirtschaftskrise in unserem südlichen Nachbarland längst auch eine soziale Krise geworden ist - während die Politik mit sich selbst beschäftigt ist.

Mittagsjournal, 6.4.2013

Lage dramatisch

Wochenlang beherrschte die Politik die Schlagzeilen: Regierungsverhandlungen, Koalitionen und Kommissionen. Heute ist plötzlich eine Tragödie aus dem realen Leben zum Thema geworden, die das ganze Land berührt. Drei ältere Menschen haben sich aus Verzweiflung über ihre wirtschaftliche Not das Leben genommen. Ein 62jähriger arbeitsloser Maurer, seine 68jährige Frau und deren 73 Jahre alter Bruder.

Die drei lebten zusammen in einer kleinen Ortschaft in den Marken, einer mittelitalienischen Region, die stark von Arbeitslosigkeit betroffen ist. Auch der Mann hat seinen Job bei einer Baufirma verloren und versucht, sich als selbstständiger Handwerker durchzuschlagen. Doch er wird Opfer der komplizierten Steuerbestimmungen des Landes. Um die Abgaben zu zahlen, muss er einen Bankkredit aufnehmen, den er nicht mehr zurückzahlen kann. Die Frau bezieht eine kleine Pension von 500 Euro. Das gemeinsame Einkommen reicht nicht mehr für die Miete. So beschließen die beiden, die seit ihrer Jugend miteinander verheiratet sind, ihr Leben gemeinsam zu beenden: sie erhängen sich in der Garage. Auf einer Notiz für die Nachbarn bitten sie um Verständnis. Der Bruder kann den Schmerz nicht verkraften, läuft hinunter zum Hafen und stürzt sich ins Meer.

Eine Welle des Mitgefühls hat das ganze Land erfasst. Zeitungen und Radiosendungen werden mit Mails und Anrufen überschwemmt, in denen sich menschliche Betroffenheit mit Empörung mischt: Haben wir jede Moral verloren!! In welchem Zustand ist das Land, in dem verzweifelte Menschen einfach vergessen werden.

Der Fall bestätigt einmal mehr den Eindruck der Leute, dass sich die Welt der Politik meilenweit von den Alltagsproblemen der Menschen entfernt hat. Die Betroffenheit scheint auch deshalb so stark zu sein, weil viele Italiener die Auswirkungen der Krise selbst spüren und fürchten, in einer extremen Notsituation auf keine Hilfe zählen können. Tatsächlich erzählt ein Gemeindepolitiker, dass der arbeitslose Maurer ihn nach Arbeit gefragt hatte: Diesen Zettel hat er vor Ostern meiner Mutter für mich gegeben. Ich habe ihm geraten, beim Sozialfond der Gemeinde um Hilfe zu bitten. Aber wollte er nicht in Anspruch nehmen - zu demütigend wäre das öffentliche Eingeständnis seiner Armut für den Handwerker gewesen.

So scheint es vielen Arbeitslosen und gescheiterten Kleinunternehmern in Italien zu gehen: laut Statistik haben sich im vergangenen Jahr unter dem Druck der Krise 500 Menschen aus wirtschaftlicher Not das Leben genommen und die Tendenz ist steigend.