Nach Chavez: Venezuela vor der Wahl

Am Sonntag wählt Venezuela einen neuen Präsidenten. Und der wird das erste Mal seit 14 Jahren nicht Hugo Chavez heißen. Der Comandante, wie ihn die Venezolaner nennen, ist am 5. März verstorben. Trotzdem ist er in Caracas überall präsent. Eine Reportage aus Caracas.

Morgenjournal, 11.4.2013

Bilder und Plakate von Hugo Chavez schmücken die ganz Caracas, überlebensgroße Statuen und Chavez-Puppen stehen auf den Plätzen. Und die Sprechchöre bei den Wahlveranstaltungen gelten nur ihm. Chavez ist eine Legende, das geben sogar seine Gegner zu. Der Kult um seine Person ist Programm, doch zuweilen nimmt er auch seltsame Züge an. Etwa, wenn ihn viele seiner Anhänger als Messias bezeichnen. Und immer noch jeden Tag zu hunderten zu seinem Grab pilgern.

Chavez ist Kult

Für Juana Urena ist das alles plötzlich zu viel. Stundenlang hat sie heute gewartet, um ihren Comandante ein letztes Mal zu besuchen. Hier im Militärmuseum von Caracas, flankiert von Gardesoldaten die rund um die Uhr Totenwache halten. Jetzt steht sie vor seinem gigantischen Marmorsarg – und bricht in Tränen aus: „ich hätte nie gedacht, dass ich einmal an seinem Grab stehen würde. Er war unsere Hoffnung auf ein besseres Leben. Nie konnte ich mir vorstellen, dass ich einmal hier um seinen Tod weinen muss, und ich kann die Trauer immer noch nicht ertragen“.

Unter Tränen wankt Juana in den nächsten Raum, die Kapelle von Chavez. Überlebensgroße Bilder hängen hier an der Wand über dem Kreuz. Blumen und Kerzen schmücken den Altar. Davor sitzt Cilia Sanchez in den Armen ihres Mannes: „Meine Gefühle überwältigen mich, sagt sie. Die Energie, die ich spüre, ist so stark, dass ich weinen muss. Ich fühle mich, als hätte ich einen Verwandten verloren“. „Chavez war wie John Lennon, wie Martin Luther King., sagt ihr Mann Francisco. Er hat mit ganzem Herzen für etwas gekämpft. Und diese Energie wird nie sterben. Ja, stimmt, er hat sich nur verändert“, sagt Cilia. „Aber er ist nicht tot“.

Für die Besucher hier ist Chavez nicht nur ein toter Präsident, sagt der Soziologe Augustín Blanco Munoz. Chavez ist Kult, und für viele Venezolaner ist er sogar ein Heiliger: „Der Kult um eine Person, die alle anführt, ist nicht neu, vor allem nicht hier in Venezuela. Diese Idee existiert in den Köpfen der Menschen seit dem Unabhängigkeitskämpfer Simon Bolivar. Aber es gibt eine Besonderheit hier: wir heben unsere Bewunderung auf ein religiöses Level, wir vermischen Personenkult mit Religion und Magie“. 90 Prozent der Venezolaner seien sehr gläubig, erklärt der Soziologe. Sie verehren Heilige, Und sie glauben an Wunder: „Chavez Politik war anders als zuvor, Er hat Pensionen ausgeteilt, Brot verschenkt, Geld unter den Armen verteilt. Und sie haben ihn vergöttert“.

Doch kann das reichen, eine Person derart bedingungslos zu verehren? Ja, sagt Blanco Munoz: „Wir reden hier über Fanatismus. Sie sagen, er ist ein Gott. Und ein Gott kann doch nichts falsch machen. Sie glauben: Alles, was er tut, ist gerechtfertigt“.

Hugo Chavez wusste von dieser Wirkung, erinnert sich Alberto Blanco Munoz, an ein persönliches Treffen mit dem Präsidenten. Und sie war sein mächtigstes Instrument: „Ich habe einmal zu ihm gesagt: hör mal, Hugo, die Leute glauben, du bist der Messias, das ist doch verrückt. Und er sagte zu mir: Ich weiß, Professor. Aber wissen Sie, diese Gabe ist einfach da. Was soll ich denn tun? Das heißt also: er hat es ausgenutzt!“

Die Besuchergruppe ist am Ende der Führung angelangt, sie haben alles über Chavez Leben erfahren, haben ihn als Kind gesehen, als jungen Soldaten, als Mann des Volkes, als Staatsmann. Sie haben hunderte Fotos geschossen. Und dem Comandante geschworen, am Sonntag für seinen Nachfolger Nicolas Maduro zu stimmen. Jetzt stehen sie noch einmal am Grab. Und plötzlich stürzt eine alte Dame vor und wirft sich auf die Knie: „Chavez, Du wirst immer in unseren Herzen sein, ruft sie. Denn du bist unser Erlöser, Ruhe in Frieden – wir werden dich nie vergessen.“