Reizwort Ganztagsschule

Die bildungspolitische Diskussion in Österreich ist eine Geschichte von ideologischen Gräben und den Versuchen, diese auch mit neuen, unbelasteten Begriffen zu überbrücken. Aus der von der ÖVP jahrzehntelang verdammten Gesamt-Schule ist die Gemeinsame Schule der Zehn- bis Vierzehnjährigen geworden. Aktuell ist aber die Ganztags-Schule DER Zankapfel. Die SPÖ will sie forcieren und prägt dafür auch einen neuen, sympathischeren Begriff: Schule ohne Schultasche.

Mittagsjournal, 7.9.2013

Interesse steigt

Die Sozialdemokraten wollen die eben erst verdoppelten Mittel für den Ausbau der Ganztagsschulen noch einmal verdoppeln und 320 Millionen Euro pro Jahr dafür ausgeben. Wahlkampf ist, und versprechen kann man viel. Die ÖVP sagt „Zwangstagsschule“ zu diesem Modell mit Unterricht, der über den ganzen Tag verteilt ist, und lehnt den SPÖ-Vorstoß ganz entschieden ab. Speerspitze ist dabei die Pröll-ÖVP, die in Niederösterreich erhoben hat, dass nur 17 Prozent der Eltern für die Ganztagsschule sind, mehr als die Hälfte wolle eine freiwillige Nachmittagsbetreuung und aus.

Und hier setzt SPÖ-Bildungssprecher Elmar Mayer an. Solche Umfrage-Ergebnisse seien nicht aussagekräftig, weil sehr viele Eltern mit den verwendeten Begriffen - etwa Ganztagsschule in der verschränkten Form - nichts anfangen könnten. Mayer setzt auf daher auf den Begriff „Schule ohne Schultasche“. An der Schule würden die Hausübungen gemacht und gelernt, womit die Schüler ohne Schultasche auskämen. Die Rückmeldung sei sensationell gewesen. In der Schulpolitik müsste man einfach neue Formulierungen erfinden.

ÖVP bremst

Mayer berichtet von ersten Erfahrungen mit diesem neuen Begriff in Vorarlberg: ursprünglich hätten sich nur zehn Prozent der Eltern dafür interessiert, danach 25 Prozent. Und der SPÖ-Bildungssprecher empfiehlt seiner Partei dringend, diesen Weg auch im politischen Diskurs zu gehen.

Vielleicht hat Elmar Mayer ja mehr Glück damit als die jetzige Justizministerin Beatrix Karl (ÖVP), die im Mai 2010 auch einen neuen Begriff geprägt hatte, um das Patt zwischen Rot und Schwarz in Sachen Gesamtschule vulgo Gemeinsame Schule aufzulösen. Die damalige Wissenschaftsministerin im Ö1-Morgenjournal: Gymnasium für alle von 10 bis 14 Jahre.

Gymnasium für alle. Ein geradezu genialer Begriff, der die aus konservativer Sicht diskreditierte Gesamtschule für diese Klientel auch noch aufgewertet hätte. Allein - die Partei hat Beatrix Karl zurückgepfiffen.

Dieses Schicksal wird Elmar Mayer in der SPÖ nicht erleiden. Im Gegenteil: Staatssekretär und Kanzler-Vertrauter Josef Ostermayer ist so angetan von der Schule ohne Schultasche, dass er den Begriff schon adoptiert und öffentlich verwendet hat. Vor dem Mikrofon will der - für die Zeit nach der Wahl als Unterrichtsminister gehandelte - Ostermayer den Begriff nicht wiederholen. Noch nicht.