ÖVP im taktischen Dilemma

"Wir drehen zu viele Runden, die nichts bringen" - so hat ÖVP-Koalitionsverhandler Reinhold Lopatka die momentane Lage zwischen SPÖ und ÖVP beschrieben. Auch heute drehen sie wieder ihre Runden, doch ein erfolgreicher Abschluss ist nicht absehbar. Die ÖVP hat zentrale Fragen definiert, die sie durchbringen will - hat aber kaum Druckmittel. Eine Analyse.

Mittagsjournal, 5.12.2013

Liste zentraler Fragen

Wolfgang Schüssel hat die Koalitionsverhandlungen mit der SPÖ vor vierzehn Jahren mit einer komfortablen schwarz-blauen Mehrheit in der Hinterhand platzen lassen. Für Michael Spindelegger ist es nicht so einfach und alles andere als bequem - obwohl er es zuletzt durchaus in Schüssel'scher Manier angelegt hat.

Denn der ÖVP-Obmann ist mit einer Liste von für seine Partei zentralen Fragen zum Bundespräsidenten gegangen, um dem auf raschen Abschluss drängenden Heinz Fischer die Augen zu öffnen: Kurzfristige Einsparungen für die Budgets 2014 und 2015, wo die Einnahmen um Milliarden unter den Erwartungen liegen, müssten jetzt fixiert werden. Da geht es auch um Kürzungen bei den Förderungen, die die ÖVP keinesfalls nur ihrer Klientel - Bauern und Unternehmern - zumuten will. Zwangsläufig kommt da der größte Subventionsempfänger, die Bahn, ins Spiel - und die ist sozialdemokratisches Hoheitsgebiet. Besonders sensibel und ein rotes Tuch für die SPÖ ist der Punkt Pensionen: Die ÖVP beharrt hier auf einer Automatik: Wenn das tatsächliche Pensions-Antrittsalter durch die bereits getroffenen Maßnahmen und das geplante Bonus-Malus-System für die Beschäftigung älterer Arbeitnehmer nicht so steigt wie angepeilt, dann sollen zusätzliche Maßnahmen automatisch in Kraft treten. Und die will die ÖVP jetzt schon vereinbaren.

Auf der Liste der zentralen Fragen Spindeleggers stehen auch die Studiengebühren, weitere Privatisierungen und ein unverrückbares Nein zu Vermögensteuern - also auch Erbschafts- und Schenkungssteuer.

Theatralischer Auftritt

Damit wandelt die ÖVP gleich auf mehreren roten Linien des Koalitionspartners und droht ihn zu überfordern. Aber zumindest dem Parteiobmann ist es ernst. Das hat Spindelegger mit seinem Auftritt beim Bundespräsidenten gezeigt - der war sicher auch theatralisch angelegt, aber der ÖVP-Chef hat nicht viele andere Möglichkeiten, um Druck zu machen.

Dazu kommt, dass ihm Teile der eigenen Partei unruhig werden. Die Bauern fürchten um ihre Fördergelder, der ÖAAB meint auch, unter die Räder zu kommen. Vom Wirtschaftsflügel - der sich ja sonst gern als Reformmotor sieht - kommen beschwichtigende Signale, ganz in der alten sozialpartnerschaftlichen Tradition: "Wir werden schon irgendeinen Kompromiss finden." Und die Länder wollen vor allem ihre eigenen Schäfchen ins Trockene bringen - nie war die Gelegenheit dafür so günstig wie jetzt.

Dabei sind Spindeleggers zentrale Fragen für die ÖVP tatsächlich lebenswichtig. Wortbruch und faule Kompromisse würden bedeuten, dass Spindelegger an seinem eigenen Anspruch gescheitert ist. Das wäre tödlich für die ÖVP, die als Juniorpartner in der Regierung ohnehin immer um ihr Profil ringen muss. Spindelegger weiß das, aber er steht ohne Druckmittel da. Und kann nur hoffen, dass ihn die Partei in seinem Dilemma nicht allein lassen wird.