Flüchtlingselend auf Lampedusa
Eigentlich wollte sich die EU ja auch der gemeinsamen Flüchtlingspolitik annehmen - da ist aber bisher weniger weitergegangen: Zweieinhalb Monate nach zwei Flüchtlingstragödien vor der italienischen Insel Lampedusa mit mehr als 600 Toten ist jetzt ein Video aufgetaucht, dass die Problematik der Insel wieder einmal ins Bewusstsein bringt.
23. November 2023, 15:32
Auf den Aufnahmen, die ein Flüchtling heimlich mit seinem Handy gedreht hat, sieht man Erschreckendes: Nackt werden die Insassen im Hof zusammen getrieben und mit Desinfektionsmitteln abgespritzt.
Mittagsjournal, 18.12.2013
Nackt an die Wand gestellt
Das Video ist unscharf aber zeigt dennoch klar, wie eine Person nach dem anderen nackt an eine Wand tritt, in einem Hof im Freien, mitten im Dezember. Die Kleider auf einem Haufen am Boden: Wie Tiere, sagt der junge Flüchtling aus Syrien, der die Szenen gefilmt hat zum Reporter, "Dai, dai, kommandieren sie uns herum", erzählt er.
Mit einem Schlauch werden die Flüchtlinge abgespritzt, desinfiziert, offenbar gegen Krätze, die im Lager verbreitet ist. Jeden dritten bis vierten Tag, erzählt der junge Syrer, müssen sich Männer wie Frauen dieser Desinfektion unterziehen.
Bilder die an Konzentrationslager erinnern, eine Schande! empört sich die engagierte Bürgermeisterin von Lampedusa und mit ihr viele Stimmen quer durch das Land. Man kann diese Desinfektion, so sie nötig ist, genauso gut respektvoll und unter Wahrung der Privatsphäre machen, kritisiert der UNHCR-Verantwortliche auf Lampedusa: Man muss diese Art von Auffanglager schließen und das gesamte Aufnahmesystem reformieren, sagt der Vizeinnenminister heute früh in einer Radiosendung. Wir müssen - wie die Regierung es derzeit vorantreibt - eine neue europäische Aufnahmepolitik definieren.
Von Brüssel fast alleine gelassen
Die elenden Zustände im chronisch überfüllten Auffanglager von Lampedusa sind nichts Neues. Während der Tragödien im Oktober haben Fernsehreportagen das Innere des gezeigt, Menschen die aus Platzmangen unter Bäumen campierten, bei Regen auf nassen Matratzen aus Schaumstoff.
Auch jetzt ist die Anlage überfüllt, über 250 Schlafplätze verfügt sie, 500 Flüchtlinge sind laut italienischen Medien im Moment untergebracht. Die Leitung hat eine Kooperative, die vom Innenministerium Geld dafür bekommt, zwischen 30 und 50 Euro pro Tag und Flüchtling, über sechseinhalb Millionen Euro in den Jahren 2011 und 2012 rechnet eine Zeitung heute vor.
Es stimmt, dass Italien mit dem Flüchtlingsproblem im Mittelmeer überfordert ist und von Brüssel in vielem allein gelassen wird. Aber nicht in allem. Das Dilemma hier ist, dass die Verantwortlichen seit Jahren mit Improvisation und kurzfristigen Notprogrammen reagieren. Wenn Feuer am Dach ist, kündigen sie - wie der Vizeinnenminister heute früh - Reformen an, die dann nicht stattfinden, und so beleibt das Provisorium bis zum nächsten Skandal weiter bestehen.