Flüchtlingswelle in der Ukraine

In der Ukraine wird die Flüchtlingswelle immer größer, je härter die Kämpfe werden. Das UNO-Flüchtlingshilfswerks UNHCR verzeichnete allein in der vergangenen Woche 16.400 neue Flüchtlinge; damit sind in der Ukraine bisher 54.400 Personen erfasst; mehr als 100.000 flohen seit Jahresbeginn nach Russland, und nur 750 bisher in Staaten der EU.

Flüchtlinge aus Kampfzonen in der ganzen Ukraine

Je härter die Kämpfe in der Ostukraine werden, desto stärker leiden sogar auch Städte, die gar nicht unmittelbar von den Gefechten betroffen sind. Dazu zählt Krasnoarmejsk, das 60 Kilometer westlich von Donezk liegt. In Krasnoarmejsk gibt es seit drei Tagen kein Trinkwasser, weil eine Filteranlage im Bezirk gesprengt wurde; doch in der Stadt besteht ein Transitlager für Flüchtlinge, das das ukrainische Ministerium für Katastrophenschutz hier eingerichtet hat. In einem Zelt arbeiten auch zwei Vertreter der Hilfsorganisation "Spital Majdan", die Personen hilft, aus den Kampfzonen zu fliehen.

Menschen bleiben bis zuletzt

Die Anrufe zeigen klar, wo derzeit heftigste Gefechte toben, sagt Sergej Major, von Spital Majdan: "Derzeit rufen etwa 80 Prozent der Menschen aus dem Kreis Lugansk an, und 15 Prozent aus der Stadt Donezk, wo es noch mehr oder weniger ruhig ist. Dagegen wird auch bereits in der Stadt Lugansk gekämpft. Doch die Menschen halten bis zuletzt aus."

Dieses Ausharren habe auch mit der Mentalität der Bevölkerung zu tun, sagt Sergej Major: "Wenn man die Menschen fragt, wie die Lage ist, dann sagen sie in der Regel, in der Nachbarstraße wurde geschossen, doch bei uns ist alles bisher normal. Wenn man dann sagt, dann müsst ihr doch etwas tun, wenn bereits beim Nachbarn geschossen wird, dann lautet die Antwort: 'Ach nein, denn bei uns wird bisher nicht geschossen.' Und dann rufen sie an und schreien, bei uns wird geschossen, und jetzt können wir nicht mehr wegfahren. Das ist die Psychologie – in der Nachbarstraße wird geschossen, doch bei uns ist alles normal."

Aus Lugansk geflohen ist nun auch die 52-jährige Dina mit ihrer Tochter und ihrem Enkel. Sie nahmen den Zug, das noch sicherste Verkehrsmittel in der Ostukraine. Zurückblieben sind der Ehemann und der herzkranke Vater, der nicht transportfähig ist. Zur Abreise sagt Dina: "Als wir weggefahren sind, war unser Haus noch heil. Doch wir verbrachten die ganze Nacht im Keller; als sie am Abend zu schießen begannen, bröckelte der Verputz von der Decke. Doch beim Nachbarhaus wurde das Dach zerstört und die Fenster gingen zu Bruch. Und auch Menschen starben."

Versorgungslage schwierig

Wasser gibt es noch sporadisch, die Stromversorgung bricht immer mehr zusammen. Und wie sieht es mit den Lebensmitteln aus? Dazu sagt Dina: "Das letzte Mal war ich vergangenen Freitag in einem Geschäft; die Supermärkte werden sichtbar immer leerer, und zwar wegen der Panikkäufe, weil die Menschen Vorräte anlegen. Am Wochenende waren wir in gar keinem Geschäfte, weil wir das Haus gar nicht verlassen haben." Dina will weiter zu Verwandten in den Nachbarbezirk Dnipropetrows. Im Transitlager in Krasnoarmejsk sind die Flüchtlinge meistens nur bis zu drei Tage. Etwa 120 Personen kamen binnen drei Tagen, nun leben 70 Personen hier, fast nur kleinere Kinder mit ihren Müttern.

Viele sind traumatisiert

Viele Flüchtlinge litten unter posttraumatischem Stress, erläutert der Psychologe im Lager, Artjem Pawlenko: "Unmittelbare Folgen sind das Weinen; dann das Zittern der Hände vor Angst. Die Augen irren umher. In der Nähe ist der Bahnhof, und wenn die Züge zusammengestellt werden, schlagen die Puffer zusammen, und die Menschen erschrecken."

An diesen Symptomen werden in der Ostukraine wohl immer mehr Menschen leiden; eine Feuerpause ist nicht in Sicht, und je stärker die Kämpfe die Großstädte Lugansk und Donezk erfassen, desto größer wird auch die Flüchtlingswelle werden.