Armenien: Land zwischen den Fronten
Genau vor einem Jahr brachte Russland Armenien dazu, den Kurs der Kooperation mit der EU aufzugeben. Stattdessen sollte das Land der von Moskau geführten Zollunion beitreten. Doch jetzt, ein Jahr später, herrscht noch immer Stillstand bei den Verhandlungen mit der Zollunion. Der österreichische Außenminister Sebastian Kurz (ÖVP) stattet Armenien gerade einen Besuch ab.
8. April 2017, 21:58
Mittagsjournal, 10.9.2014
Aus Armenien,
Politisches Erdbeben
Nach vierjährigen Gesprächen mit der EU über ein Assoziationsabkommen, kündigte der armenische Präsident Serzh Sargsian vergangenen September plötzlich Verhandlungen mit der Eurasischen Zollunion an, die von Moskau geführt wird. Vorangegangen war ein Treffen mit Wladimir Putin und die Ankündigung Russlands, künftig auch den Erzfeind Aserbaidschan mit Waffen zu beliefern. Es folgten kurze Proteste der Zivilgesellschaft, die aber rasch verstummten. Die Angst vor einem möglichen Krieg, um die mit Aserbaidschan umstrittene Region Berg-Karabach und die Sorge Russland als Schutzmacht zu verlieren, sind eines der bestimmenden Themen der armenischen Innenpolitik.
Eurasische Zollunion wackelt
Doch ein Jahr später ist von einem Beitritt zur Zollunion noch nichts zu bemerken: Auch wenn Außenminister Edward Nalbandian in der Pressekonferenz mit Sebastian Kurz betont, dass alles nach Plan laufe, gibt es bis jetzt doch noch keine Ergebnisse, erklärt Richard Giragosian vom Think Tank Regional Studies Center in Jerevan: „Der wahre Grund ist nicht Armenien, sondern die Ukraine, so wie schon beim russischen Druck auf Armenien vergangenen September. Armenien war damals eine Art Opfer, um ein starkes abschreckendes Signal an die Ukraine und andere postsowjetische Staaten zu senden. Doch durch den Verlust der Ukraine im aktuellen Konflikt ist das ganze Konzept der Eurasischen Zollunion viel weniger lebensfähig und attraktiv, sogar für Putin.
Armenien fordert Sonderrechte
Weißrussland und Kasachstan haben massiven Widerstand gegen den Beitritt Armeniens angekündigt, unter anderem weil Armenien sehr weitgehende Sonderrechte und Zollbefreiungen fordert. Fraglich sei jetzt, ob Russland bereit ist, in der ohnehin fragilen Konstruktion Zollunion wegen Armenien weiteren Druck auf seine beiden Junior-Partner ausüben will.
Bevölkerung gespalten
Die armenische Bevölkerung ist in der Frage Zollunion gegen Europäische Union auf jeden Fall unterschiedlicher Meinung: „Ich denke, dass es uns mit Russland besser geht. Russland ist unser einziger naher Genosse und Freund“, meint ein älterer Herr am Republikplatz im Zentrum von Jerewan. Eine junge Studentin hingegen sagt: „Eine Russische Union hatten wir doch schon in der Sowjetunion und unsere Eltern erzählen uns, dass das nicht gut für Armenien war. Wir waren nicht unabhängig. „
"Regierung hält sich EU offen"
Wirtschaftlich sind die Beziehungen zu Russland und zur EU ungefähr gleich stark, sowohl hier und dort lebt eine große armenische Diaspora, erklärt der Politikwissenschaftler Mikael Zolyan. Dass sein Land tatsächlich der Zollunion beitreten wird, kann sich Mikael Zolyan angesichts des Stillstandes bei den Verhandlungen kaum vorstellen: „Die Regierung will sich die Europäische Option offenhalten für den Fall, dass die Zollunion scheitert. Im Moment erscheint es nicht ganz klar, wie die Zukunft dieser Zollunion ausschaut. Daher wollen sie sich nicht von Europa entfremden.“
Sonderstatus für Armenien?
Der französische Präsident Hollande regte im Sommer bereits Gespräche über einen gesonderten Status Armeniens zwischen Russland und der EU. Es wäre auch die Hoffnung vieler in Armenien, dass die künftige EU-Kommission einen Weg finden wird, in dem sich das Land nicht zwischen Moskau und Brüssel entscheiden muss.