Roman von Drago Jancar
Die Nacht, als ich sie sah
Slowenien war im Zweiten Weltkrieg gewissermaßen eingeklemmt zwischen Nationalsozialismus und Kommunismus. Tito-Partisanen bekämpften die deutschen Besatzer, und die Bevölkerung musste mit beiden Seiten ein Auskommen finden. Davon erzählt der slowenische Autor Drago Jancar in seinem Buch "Die Nacht, als ich sie sah".
25. März 2020, 13:35
Der Roman ist im Original bereits 2011 erschienen; nun erobern die Übersetzungen den europäischen Markt: In Frankreich wurde das Buch zum besten fremdsprachigen Roman des Jahres 2014 gekürt und auf der ORF-Bestenliste hält es aktuell auf Platz zwei. Dieser Tage beginnt Drago Jancar eine Lesereise durch Österreich.
ANITA SCHIFFER-FUCHS
Kulturjournal, 10.11.2015
Eine wahre Begebenheit liegt diesem Roman zugrunde. "Die Nacht, als ich sie sah" lässt das Bild einer Frau entstehen; einer aufregenden Frau, die sich mit Charme, Klugheit und Diplomatie aus dem Krieg heraushalten wollte und die doch im Kriegswinter 1944 gemeinsam mit ihrem Mann in Slowenien ermordet wurde. Fünf Personen erzählen von dieser Frau, nur eine dieser Stimmen weiß über die Umstände ihres Todes Bescheid. Veronika, wer hat sie wirklich gekannt? Es berichten ein serbischer Offizier (der einst ihr Liebhaber war), die Mutter, ein Arzt der deutschen Wehrmacht und zwei slowenische Hausangestellte.
Für Drago Jancar ist diese Frauenfigur nach einem realen Vorbild eine Art Kristallisationspunkt der slowenischen Geschichte der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. "Wir haben eine Geschichte über sie, aber auch über diese Kriegszeit, die bis ins Heute reicht. Nach dem Krieg sind in Slowenien viele Wunden offen und viele Ereignisse ungeklärt geblieben. Es gab viele Tabus."
FOLIO VERLAG
Vom Versuch unpolitisch zu leben
Eine wechselvolle Geschichte hat das kleine Slowenien im 20. Jahrhundert durchgemacht. Nach dem König kamen die Deutschen und die kommunistischen Partisanen, dann die Tito-Diktatur. Tito verstand sich als "Befreier" und brachte erst wieder Tod, Leid und Ungerechtigkeit. Die größten Tabus Sloweniens stammen aus dieser der Zeit, sagt Drago Jancar.
"Die Kommunisten, die sich als Befreier fühlten, etablierten ein Justizsystem nach ihren Vorstellungen und töteten alleine im kleinen Slowenien rund 15.000 Menschen. Die Literatur hat sich durchaus schon an dieses Thema herangetraut, aber jetzt ist es Zeit, ein wenig tiefer zu gehen. Ich habe mir daher diese Frau ausgesucht, die in der Kriegszeit in Slowenien das Unmögliche versucht hat, nämlich unpolitisch zu leben."
Flaschenhals der Flüchtlingsbewegung
Einem Krieg in der Heimat kann man sich nicht entziehen, auch wenn man wohlhabend, weltgewandt und diplomatisch ist; das ist die Lektion, die Veronika und ihr Mann lernen müssen. Angesichts der heutigen Kriege hat Drago Jancar Verständnis für jeden, der dem Krieg entkommen möchte. Seitdem Ungarn seine Grenzen dicht gemacht hat, ist das Schengen-Land Slowenien der Flaschenhals der aktuellen Flüchtlingsbewegung, die in Richtung Deutschland strömt. Slowenien bemühe sich die Menschen zu betreuen und zu registrieren, aber lange könne das nicht so weitergehen, sagt Drago Jancar. Jeder wisse das und keiner spreche es an.
Service
Drago Jancar, "Die Nacht, als ich sie sah", Roman, aus dem Slowenischen von Daniela Kocmut und Klaus Detlef Olof, Folio Verlag
Heute Abend liest Drago Jancar in Graz aus seinem Roman, es folgen Lesungen in Wien, Klagenfurt und München.