Roman von Wilhelm Genazino
Außer uns spricht niemand über uns
In Wilhelm Genazinos literarischem Kosmos bleiben die Ereignisse der großen weiten Welt zumeist aus. Auch sein neuer Anti-Held in dem Roman "Außer uns spricht niemand über uns" hält sich die Welt beobachtend fern.
8. April 2017, 21:58
Katja Gasser hat den Autor in Frankfurt besucht.
Er ist im mittleren Alter, lebt in Frankfurt am Main, arbeitet als Radiosprecher, hie und da als Moderator, selten als Schauspieler, was eigentlich seine Profession ist. Er hat Beziehungsprobleme, Schwierigkeiten mit der Sexualität, seine wahre Leidenschaft ist das Flanieren durch die Stadt, das Beobachten.
Beweise dafür, dass das Leben grausam sein kann, sieht der Ich-Erzähler permanent. Darunter Obdachlose. Sie ziehen sich wie ein roter Faden durch den Roman. Auch wenn Genazinos Prosa den Ruf hat, apolitisch zu sein, steckt in den Tiefenstrukturen dieser Texte viel gesellschaftspolitische Brisanz, so auch in seinem jüngsten Roman.
Service
Wilhelm Genazino, "Außer uns spricht niemand über uns", Roman, Hanser Verlag
Wilhelm Genazino
"Es gibt nichts Apolitisches - der Orangenverkäufer ist politisch, und gar der Obdachlose - der Obdachlose ist hochpolitisch, er ist die schlimmste Möglichkeit des Wirklichen."
In "Außer uns spricht niemand über uns" geschieht, wie Beiläufig, viel Tragisches: darunter ein Selbstmord und mehrfacher sexueller Missbrauch begangen nicht an, sondern von Frauen. All das aber inszeniert Wilhelm Genazino nicht als große Erschütterung, vielmehr schafft er es abermals durch seine kompromisslose Bereitschaft zur Leichtigkeit im Ton, den Abgrund als essenziellen Bestandteil des Lebens selbst zu erzählen.
Die Kluft zwischen dem Erzählten und dem, wie erzählt wird, ist geradezu famos. Diese Kluft macht Genazinos Romane zu dem, was sie sind: feine Kunstwerke, die sich nicht einfach entschlüsseln lassen, auch wenn sie so tun, als wäre dem so.