Wilhelm Genazino: "Bei Regen im Saal"

Ein eigenbrötlerischer Ich-Erzähler, der mit den Zudringlichkeiten des modernen Lebens zu kämpfen hat, zeichnet die Bücher des Büchner-Preisträgers Wilhelm Genazino aus. In seinem soeben erschienenen, neuen Roman "Bei Regen im Saal" ist es der Mittvierziger Reinhard.

Reinhard fristet zuerst als Barkeeper und dann als Redakteur eines Provinzblatts seine absichtlich klein gehaltene Existenz. Viel lieber spaziert er durch Frankfurt und versucht als feinsinniger Beobachter den kleinen Geheimnissen des Lebens auf die Spur zu kommen. Und damit hat er einiges mit seinem Schöpfer Wilhelm Genazino gemeinsam.

Morgenjournal, 30.7.2014

Er empfindet sich nur als halbfertigen Menschen, zu seiner Friseuse geht er nicht, weil sie so gut Haare schneidet, sondern weil sie ihn an seine verstorbene Mutter erinnert, und am Fenster sitzend bemerkt er, dass sich das Trommeln des Regens wie Beifall anhört. Wo der Ich-Erzähler in Wilhelm Genazinos neuem Roman auch hinsieht und hinhört, enthüllt das Leben seine meist skurrilen Geheimnisse. Genazino selbst macht sich Tag für Tag auf die Suche nach solchen Zufallsentdeckungen, bewaffnet mit Notizkärtchen, einem Bleistiftstummel und einer geschärften Aufmerksamkeit. Er freue sich auch, "eigentümliche Menschen zu sehen", sagt Genazino.

Genazinos Ich-Erzähler macht nicht nur die unglaublichsten Entdeckungen, er gibt diesen Phänomenen auch Namen. Für Genazino stellt das Schaffen neuer Begriffe einen ganz zentralen Teil der schriftstellerischen Arbeit dar. Im neuen Roman "Bei Regen im Saal" ist da etwa von "Dingferne" oder vom "Halberlebnis" die Rede. "Das Halberlebnis ist eines, das einfach in der Mitte seines eigenen Vollzugs plötzlich wegkippt oder das sich einfach auflöst und nicht weitergeht", erklärt Genazino.

Verweigerung der digitalen Welt

Genazinos Antiheld ist ein Eigenbrötler, der sein Außenseitertum pflegt und sich auflehnt gegen den Lärm und die Aufdringlichkeit des modernen Großstadtlebens und immer auf der Suche ist nach einem von den Zumutungen des Alltags verschonten Plätzchen. Und wie auch sein Schöpfer verweigert er sich den neuen technologischen Errungenschaften, die das Leben nicht leichter machen, sondern einem das Leben aus der Hand nehmen. So klopft Wilhelm Genazino seine Bücher noch immer in seine alte Schreibmaschine. Fernsehapparat und Computer etc. hat er mit Absicht nicht, er "möchte nicht in die Apparatur der digitalen Welt eingefügt werden", sagt Genazino.

Einzigartiger Blick

Der Schauplatz in Genazinos neuem Roman "Bei Regen im Saal" ist einmal mehr Frankfurt. Das sei einfach sein angestammtes Revier, wenn er sich auf die Jagd nach einer neuen Geschichte mache - was nicht heißt, dass er nicht oft und gerne auf Reisen sei, so Genazino. So sei er sehr gerne auch in Wien, wo er leidenschaftlich gerne mit dem Riesenrad fahre.

Mit seinem neuen Buch "Bei Regen im Saal" scheint Wilhelm Genazino an einem einzigen langen Roman weiterzuschreiben. In dem wechselt der Ich-Erzähler zwar von Buch zu Buch seinen Namen und Beruf, nicht aber seinen einzigartigen Blick auf die Welt und der macht auch dieses Mal wieder gehörigen Spaß.

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Wilhelm Genazino, "Bei Regen im Saal", Hanser Verlag