Fikry El Azzouzi, Autor aus Molenbeek

Von Jugendlichen, die sich mehr und mehr radikalisieren, erzählt der belgisch-marokkanische Autor in seinem ersten Roman.

Junger Mann mit dunklen Haaren

"Die Rekrutierer wissen, wie man mit Jugendlichen kommuniziert, sie sprechen ihre Sprache, machen Witze. Sie arbeiten wie Sektenführer."
Fikry El Azzouzi

Frederik Buyckx

Morgenjournal, 7.10.2016

Spätestens seit Salah Abdeslam, einer der mutmaßlichen Attentäter der Pariser Terrorangriffe, im März in Molenbeek festgenommen wurde, stehen die Muslime in diesem Viertel unter Generalverdacht. Einer, der das sehr unmittelbar erfahren hat, ist der belgische Autor Fikry El Azzouzi, ein früherer Bewohner der Brüsseler Gemeinde. In seinem Roman "Wir da draußen" schildert der 38-Jährige den Weg der Radikalisierung Jugendlicher.

Modell für ein fiktives Dorf

Molenbeek kann man vom Brüsseler Zentrum gut zu Fuß erreichen, nur durch den Charleroikanal ist das Viertel von der berühmten Altstadt getrennt. Molenbeek - das ist keine Enklave des Bösen, nicht einmal ein Ghetto, sagt Fikry El Azzouzi, hier ist es ruhiger als im Rest der Stadt, und wenn man sich die Statistik anschaut, sieht man, dass die meiste Gewalt im Zentrum von Brüssel passiert.

Molenbeek - das ist vielmehr ein Synonym für Perspektivlosigkeit. Eine Jugendarbeitslosigkeit von 50 Prozent, Armut, Identitätskrisen. - Molenbeek war das Modell für das fiktive Dorf, in dem Fikry El Azzouzi seinen Roman "Wir da draußen" angesiedelt hat. Der 38-jährige Sohn marokkanischer Einwanderer erzählt da die Geschichte von vier Burschen, die zuhause rausgeflogen sind, in die Kriminalität abrutschen und sich mehr und mehr radikalisieren.

Ausgefeilte Tricks der Rekrutierer

Fikry El Azzouzi hat diese Welt hautnah erlebt: "Es ist leicht mit den Burschen in Kontakt zu kommen, man findet sie auf Facebook und Twitter und sie werden gerne interviewt. Die meisten sind 15 bis 20 Jahre alt, sie sind auf der Suche nach einer Identität und nach einem Sinn im Leben. Und der wird ihnen versprochen: wenn sie noch bessere Muslime werden als alle anderen, d.h. wenn sie nach Syrien gehen und dort für den Gottesstaat kämpfen. Und wenn sie in den sozialen Medien Grausamkeiten posten, sehen sie sich als Dschihad-Popstars."

Fikry El Azzouzi hat auch mit Rekrutierern von der radikalen Salafisten-Organisation "Sharia4Belgium" gesprochen. Diese Anwerber des IS, seien nicht leicht zu finden, erzählt er. Sie predigen nicht in Moscheen, wo sie von der Polizei aufgespürt werden könnten. Sie leben im Untergrund und arbeiten mit ausgefeilten Tricks: "Die Rekrutierer wissen, wie man mit Jugendlichen kommuniziert, sie sprechen ihre Sprache, machen Witze und sagen: Ich verstehe dich. Ich habe eine Antwort auf deine Fragen. Diese Männer sind sehr charismatisch und arbeiten wie Sektenführer. Sie nehmen die Burschen mit und isolieren sie nach und nach von den Freunden und von der Familie. Und dann ist die Zeit gekommen, sie nach Syrien zu schicken."

"Ich habe Glück gehabt"

Er könne das alles wirklich gut nachvollziehen, sagt Fikry El Azzouzi, er selbst habe einfach Glück gehabt. "Als ich 15, 16 war, wenn da ein charismatischer Rekrutierer gewesen wäre, wäre ich auch nach Syrien gegangen, naiv wie ich war. Aber damals waren das lauter langweilige Prediger."

Nachdem er mehrfach von der Schule geflogen war, hat Fikry El Azzouzi begonnen, als Wachmann zu arbeiten, daneben hat er geschrieben. Mit 27 der erste Roman, dann ging alles sehr schnell, sagt er und stolz zählt er auf: Theaterstücke, Drehbücher und im Herbst kommt der dritte Roman heraus. Nachsatz: Er werde nie vergessen, wo er hergekommen sei.

Nach wie vor ist Fikry El Azzouzi in Kontakt mit seinen alten Freunden. Sie verstehen zwar nicht, was er schreibt, und meinen, dass sie davon nur Kopfweh bekämen, sagt er. Aber manche seien stolz auf ihn. - Nicht von ungefähr. Schließlich wird sein Buch "Wir da draußen" als "Roman der Stunde" gefeiert.

Service

Fikry El Azzouzi, "Wir da draußen", Roman, aus dem Niederländischen von Ilja Braun, Dumont
Originaltitel: "Drarrie in de nacht"

Die Zeit - "Kampf der Symbole"