Kevin Spacey, Szene aus "House of Cards", IPad

ORF/URSULA HUMMEL-BERGER

Filmkolumne

"House of Cards" - oberflächlich und subkutan

"House of Cards" hat die Serien-Welt revolutioniert. Erstmals wurde eine ganze Staffel auf einmal veröffentlicht. Die Netflix-Serie ist der Pate des Binge Viewing, jener Eigenart des Fernsehkonsums, die Quantität vor Reflexion stellt und sich lieber an der nicht enden wollenden Bilderflut berauscht, als die Geschichte häppchenweise zu genießen. "House of Cards" hat aber noch viel mehr zu bieten. Oberflächlich und subkutan.

Robin Wright

Robin Wright

AFP/JUSTIN TALLIS

Vor allem die von Robin Wright verkörperte Politikergattin Claire Underwood räumt mit bisherigen Gepflogenheiten auf. Sie ist als machtorientierte Strategin hinter einer kaum zu dechiffrierenden Teflon-Fassade eine willkommene Neu-Interpretation des Typus Politikerin. Bei Analysen des televisionären Ränkespiels im Weißen Haus überstrahlt Gatte Frank meist seine Frau. Unser Autor lässt den Präsidenten Präsident sein und heftet sich in seiner Filmkolumne lieber auf die nicht minder ruchlosen Fersen der First Lady.

Kulturjournal, 26.8.2017

David Baldinger

Sie sind die gewählten Regenten der Generation Streaming. Mr. und Ms. MacBeth der Netflix-Bühne: Frank und Claire Underwood. Claire Underwood ist kaltblütig und berechnend und sogar bereit dazu, Mord ins Arsenal politischer Intervention aufzunehmen. Sie manipuliert, trickst und täuscht. Ob die Ziele ihrer strategischen Schachzüge nun Männer oder Frauen sind - sekundär, so lange das Resultat die politische Ambition füttert. Sieht so eine feministische Heldin im Jahr 2017 aus? Seit mittlerweile fünf Staffeln verkörpert Darstellerin Robin Wright eine Frau, deren Ellbogen nicht minder kantig und deren moralischer Kompass nicht weniger kaputt ist als bei ihren männlichen Pendants.

Ist Claire Underwood Karikatur einer Feministin oder moderne "Powerfrau"?

Im Netz finden sich unzählige psychologische Profile, die sie wahlweise als "No-Nonsense Powerfrau" feiern oder zur rechten Karikatur einer Feministin degradieren. Für dieses Lager ist Claire Underwood Machtmensch unter dem Deckmantel des Feminismus. Auffallend ist, dass Claire Underwood mehr polarisiert als ihr Gatte. Dass der seinen Machiavelli beherrscht, scheint kaum noch mehr als resignatives Achselzucken hervorzurufen. Politiker eben. Part of the game. Zudem sollte die Tatsache, dass es Machtmenschen in männlichen und weiblichen Ausführungen gibt, zwar nicht verwundern, wirkt aber dennoch wie ein Brandbeschleuniger in den Diskussionsforen von Gender-Theoretikern.

Wenn Feminismus die strukturelle Gleichberechtigung feiert, dann ist "House of Cards" eine feministische Bühne. Inszeniert als vielstimmiger Chor männlicher und weiblicher Machtfantasien. Ein Zusammenprall auf Augenhöhe.

Farbenpracht der Macht

Hier scheint es keine gläsernen Decken zu geben, keine strukturellen No-Go-Areas. Frauenfiguren erscheinen hier nicht besser und nicht schlechter, sondern bewegen sich auf dem Boden der Chancengleichheit. Auf sozialer, politischer und symbolischer Ebene.

Claire Underwood wird nicht unterdrückt. Sie wird nicht marginalisiert. Ihre Figur ist weder Stereotyp noch Objekt. Sie ist es, die unterdrückt, sie grenzt aus, sie degradiert Menschen zu Objekten. Ein komplexer Charakter also mit Abgründen. Egoistisch und egozentrisch, gleichermaßen narzisstisch und skrupellos. Ihre Persönlichkeit schimmert nicht minder farbenprächtig wie die der männlichen Protagonisten.

Kanonenfutter und Verschubmasse

Auch die Handlungsstränge der Figur sind nicht auf gern als weiblich konnotierte Themenfelder beschränkt. Es geht zwar auch um Themen wie das Recht auf Abtreibung. Aber eben nicht nur. Sie ist es, die etwa den russischen Präsidenten Petrov frontal konfrontiert. "House of Cards" propagiert also einen Feminismus, der auf Chancengleichheit beruht und nicht mit automatischer moralischer Noblesse argumentiert. Als herausragende Figur eines selbstbestimmten weiblichen Ensembles ist Claire Underwoods Engagement für Gleichberechtigung über ihren unmittelbaren Einflussbereich hinaus folgerichtig ebenso verkümmert wie das Gewissen ihres Gatten. Beide sehen auf dem Spielfeld der Macht nur die eigene Figur, alles andere ist Verschubmasse und politisches Kanonenfutter.


Macht hat kein Geschlecht

In "House of Cards" hat Macht kein Geschlecht. Hier spielt eine Frau ihr Intrigenstück nicht nur vom Blatt spielt, sie füllt es mit Persönlichkeit. Feministisch ist das, weil sich hier eine Figur freischwimmt, weil ihr die prinzipiell gleichen Entwicklungs-, und Fehlentwicklungsmöglichkeiten zur Verfügung stehen wie ihrem Mann. Weil hier die hohe Politik systemisch korrumpiert und nicht geschlechtsspezifisch. Macht ist hier das Lebensmittel Nummer eins, die einzig relevante Währung, die es zu vermehren gilt. Sie frisst sich durch sämtliche politische Lager, erdet jedes Manöver und benetzt jegliche Interaktion.

Kevin Spacey

AFP/NICHOLAS CAMP

Kevin Spacey

80.000 Dollar Pay-Gap - pro Folge

"House of Cards" ist nicht deswegen radikal, weil es eine starke, kompromisslose und machttrunkene Egozentrikerin zeigt. "House of Cards" ist radikal, weil es den politischen Betrieb als gänzlich idealismusfreie Zone porträtiert. Claire Underwood ist da kein Gimmick an den gender-geschulten Zeitgeist. Sie ist als Figur das Ying zum Yang ihres Mannes.

Robin Wright hat übrigens im Vorjahr auf eine Angleichung ihrer Gage gepocht. Ihre Figur wäre lange populärer gewesen als die des Frank Underwood, so Wright, die auch immer wieder als Produzentin der Serie aktiv ist. Bis heute verdient Spacey laut "Forbes"-Magazin jedoch pro Folge um etwa 80.000 Dollar mehr - und zeigt damit, wo in Hollywood die gar nicht unsichtbare Grenze zwischen Traumfabrik und Wirklichkeit verläuft.