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Das was fehlt
Das Mateschitz-Mysterium "addendum.org"
Missinformation und Lügenpressevorwürfe: Addendum, das neue Rechercheprojekt von Red-Bull-Boss Dietrich Mateschitz, sieht sich als Antwort darauf. Viele Menschen würden sich durch Medien manipuliert und schlecht informiert fühlen. Addendum stellt den Anspruch, die Lücken in der Berichterstattung zu schließen und zu machen, was fehlt. Auffallend: Die Macher von Addendum sprechen nicht über ihr Projekt.
4. Dezember 2017, 02:00
"Wir sind die Antwort auf die Krise im Journalismus." Mit diesem Anspruch ist Addendum vor der Nationalratswahl gestartet. Man wolle Grundlagen und Fakten liefern, die der Medien-Mainstream nicht berichten wolle oder könne. So stellen sich die Macher von Addendum in einem Werbevideo vor. Auf "addendum.org" gibt es jede Woche ein anderes Thema, das in mehreren ansatzweise multimedial aufbereiteten Geschichten aufgearbeitet wird - zum Beispiel Asyl, Terror, Demokratie, Glücksspiel oder - zuletzt - das Bundesheer. Die Geschichten sind nicht aktuell, sondern hintergründig, von einem Kollektiv aus Journalisten und Experten erarbeitet. Behandelt werden Fragen wie "Ist Demokratie wirklich eine gute Idee" oder "Asyl. Ein Konzept von gestern?"
Mehr Lexikon oder Journalismus?
Es gehe da nicht um Journalismus mit Pro- und Contra-Stimmen, hier werde eher eine Wissensbasis aufgebaut, sagt der Kommunikationswissenschafter Heinz Wittenbrink von der Fachhochschule Joanneum in Graz. Ihn erinnern die Beiträge an ein Handbuch oder Lexikon, wie er sagt.
NICOLE HEILING
Die Geschäftsführer sind Michael Fleischhacker und Ex-NEOS Mann Niko Alm. Fleischhacker war Chefredakteur der Tageszeitung "Die Presse" und der inzwischen eingestellten Online-Zeitung "NZZ.at" - er ist auch Moderator für den Privatsender Servus TV, der Red-Bull-Chef Mateschitz gehört. Der hat im Frühjahr die Stiftung „Quo Vadis Veritas“ gegründet, die Addendum mit seinen rund 40 Mitarbeitern finanziert. Jeden Donnerstag gibt es die Addendum-Reportage "Im Kontext" auf Servus TV.
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Die Wahrheitssuche auf der Fahne
Die im Stiftungsnamen festgeschriebene Suche nach der "Wahrheit" kam, nachdem Mateschitz in einem Interview mit der "Kleinen Zeitung" gegen die Flüchtlingspolitik gewettert hatte und gegen das - wie er sagt - Meinungsdiktat einer selbsternannten Elite. Addendum nimmt für sich in Anspruch, neutral zu berichten. Aber die Themenauswahl deute sehr wohl in eine politische Richtung, sagt Fritz Hausjell, Kommunikationswissenschafter an der Universität Wien.
Law and Order im Vordergrund
"Wenn ich in den zwei Wochen vor dem so wichtigen Wahltermin zwei Themen spiele, Asyl und Terror, dann weiß ich, dass ich eher den Parteien von Law and Order in die Hände spiele", so Hausjell. Auch sein Kollege Wittenbrink sieht das so. Staat und Bundesheer seien "nicht gerade linke Themen". Eine gewisse politische Schlagseite scheint Mateschitz zumindest grundsätzlich nicht zu stören, so lässt er Servus-TV-Chefredakteur Ferdinand Wegscheider wöchentlich gegen Flüchtlinge, Asylpolitik oder die Grünen poltern. Der Wochenkommentar heißt "Der Wegscheider" und wird übrigens regelmäßig von FPÖ-Chef Strache mit seiner Dreiviertel Million Fans auf Facebook geteilt.
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Geschäftsmodell unklar
Völlig unklar ist das Geschäftsmodell hinter Addendum. Die Geschichten sind gratis abrufbar, Werbung sieht man nicht. In den Sozialen Medien finden Postings noch relativ wenig Verbreitung. Abnehmer für aufwändig produzierte Fernseh-Produktionen ist nur der hauseigene Sender Servus TV. Hängt die Zukunft nur vom guten Willen des Herrn Mateschitz ab? Wittenbrink sagt, das Projekt sei nicht von der Marke Mateschitz zu trennen: "Eine Hypothese ist, damit soll Öffentlichkeit manipuliert werden. Die zweite: Es ist PR. Die dritte: Es ist tatsächlich ein neues Konzept von Journalismus, und man versucht, ein Geschäftsmodell zu etablieren."
Wie unabhängig darf berichtet werden?
Hausjell fragt, wie Mateschitz reagieren wird, wenn das Projekt einmal nicht in seinem Sinne arbeitet und erinnert daran, dass der Milliardär Servus TV fast abgedreht hat, als die Mitarbeiter einen Betriebsrat gründen wollten. Wie unabhängig das Addendum-Kollektiv von seinem Stifter Mateschitz ist, kann man auch aus den redaktionellen Richtlinien auf der Homepage der Plattform nicht herauslesen. Dort wird nur die Unabhängigkeit der Redaktion nach außen betont. (In einer früheren Version des Artikels haben wir geschrieben, dass das Redaktionsstatut nicht einsehbar sei. Mittlerweile ist es online.)
Zu all dem hätte #doublecheck gern nachgefragt, aber die Geschäftsführer Fleischhacker und Alm haben Interview-Anfragen wiederholt nicht beantwortet oder abgelehnt. Alle Mitarbeiter haben striktes Interview-Verbot. Für Hausjell und Wittenbrink ist das widersprüchlich: Glaubwürdigkeit brauche Transparenz.
Schweigen Fleischhacker & Co. mit Kalkül?
"Einerseits wird nicht gesprochen, andererseits wird, wenn Leute kritisch darüber reden, gesagt: Ihr wisst ja nichts. Es ist eine sehr fragwürdige Strategie für ein Organ, das mit kritischem Anspruch auftritt", sagt Wittenbrink. Die Schweigepolitik könne aber auch klares Kalkül sein - um traditionelle Medien in Frage zu stellen und eine Gegenöffentlichkeit aufzubauen, meint der Wissenschafter.
Update: Niko Alm hat #doublecheck im Zuge der Interviewanfrage per Mail ein Gespräch mit Rainer Fleckl angeboten - über eines der nächsten Projekte von addendum.org, das Fleckl betreut. Wir sehen das als eine Form von Message Control und haben das Angebot deshalb nicht angenommen.
Dieser Artikel wurde am 4.11.2017 aktualisiert.