Felix Mitterer

ORF/URSULA HUMMEL-BERGER

"Mein Schreiben ist die Nacht"

Felix Mitterer zum 70. Geburtstag

Anlässlich seines 70. Geburtstags am 6. Februar würdigt Ö1 den 1948 in Achenkirch in Tirol geborenen Schriftsteller, Dramaturgen und Drehbuchautor Felix Mitterer mit einem Hörspiel, einem Porträt und einem Gespräch.

Mittagsjournal | 06 02 2018

Sebastian Fleischer

Ein diesig-kalter Tag auf Almhöhe im Tiroler Unterland, die Landschaft ist tief verschneit wie schon Jahre nicht mehr. Felix Mitterer folgt Spuren seiner Kindheit. Von einem Hügel her stapft er auf uns zu, ein schwarzer Punkt im Weiß, der sich sachte nähert, Schritt für Schritt größer wird. Und da denke ich mir, dass diese Art des Gehens eigentlich jener seines Schreibens ähnelt: Seine Stücke kommen aus dem Schwarz der Nacht, deren Zeichen die weißen Blätter bedecken werden.

"Williges Opfer der Prokrastination"

Felix Mitterer ist ein ungemein produktiver Autor von Theaterstücken, Drehbüchern und Hörspielen. Dabei sei er doch ein williges Opfer der Prokrastination, hat er einmal gesagt. Der Neigung also, den Beginn einer wichtigen Arbeit so lang wie möglich aufzuschieben, bis hin zum letztmöglichen Moment. Die viel zitierte Angst vor dem weißen Blatt? Schon möglich. Jedenfalls nützt Mitterer diese Verzögerung für Gedankenspiele über den Stoff und die Figuren, die auf ihre Gestaltung warten. Die Niederschrift gerät ihm dann zu abgeschiedener Nachtarbeit.

Losgetretener, vorausrollender Schnee zeichnet Muster in den Hang. Der Autor wechselt die Richtung, um nicht abzurutschen. Er hätte auch Schauspieler werden können. Fixe Offerte gab es, aber er hat sich für das Schreiben entschieden und nur noch selten Rollen angenommen.

Beim Öbristbauer

Merkwürdig, welcher Kreis sich nun geschlossen hat: Im Hörspiel und dann dem rund zweihundert Mal gezeigten Bühnenstück "Kein Platz für Idioten" spielte Mitterer selbst die Rolle eines behinderten Burschen, den die Dorfgemeinschaft ablehnt, weil er ihren Normen nicht zu genügen scheint. Jetzt, drei Jahrzehnte später, ist er der Affe Rotpeter in Franz Kafkas "Ein Bericht für eine Akademie". Eine Kreatur, die sich menschlichem Verhalten bis zur Selbstaufgabe angepasst hat, um akzeptiert zu sein. Um eine fragwürdige Freiheit zu gewinnen.

Felix Mitterer

APA/GÜNTHER EGGER

Ein Hund läuft uns bellend entgegen, bis zur Brust im Schnee. Er gehört zum Öbristhof, der Sebastian Krimbacher gehörte, damals, als Mitterers Adoptiveltern als Landarbeiter ihr Auskommen fanden. Der Öbristbauer ist sein geliebter Pate geworden; ihm hat Mitterer die Rolle jenes alten Mannes nachempfunden, der in "Kein Platz für Idioten" dem behinderten Wastl ein Ersatzvater wird.

Der schreibende Knabe

In den Bergsommern hat das Kind Felix Verstecke gefunden, wo es sich lesend wegträumen ließ. Lektüre wurde dazumal im bäuerlichen Umfeld meist als pure Zeitvergeudung angesehen, die obendrein "spinnert im Kopf" mache. Mitterers Volksschullehrer Herbert Sojer hat da anders gedacht. Er erkannte und förderte das Talent des Knaben, er ebnete ihm den Weg zur Mittelschule. Bei Schularbeiten hat der Knabe Felix oftmals den einen oder anderen Aufsatz für Kollegen verfasst, ehe er - ein früher, sehr spezieller Fall von Prokrastination? - endlich an den eigenen ging.

Wir haben den Hof erreicht. Und während der aufgeregte Hund Mitterers Aufmerksamkeit ganz und gar für sich selbst gewinnen will, tauchen Erinnerungen an spätere Jahre auf: wie Mitterer die Schullaufbahn abbrach, sein Fluchtversuch nach England schon in Rotterdam scheiterte und der Ausreißer nach Hause musste. Arbeit fand er dann für viele Jahre beim Zoll.

Stimme der Schutzlosen

Doch die Nächte gehörten dem Schreiben, und mit "Kein Platz für Idioten" kam endlich der Erfolg, der Beginn einer langen Reihe von Dramen und Drehbüchern. "Stigma" - ein Drama um die Bauernmagd Moid, die die Wundmale Christi empfängt und von kirchlicher Obrigkeit dem Exorzismus unterworfen wird - zählt zu seinen bis heute intensivsten Stücken. "Die Kinder des Teufels" erinnert an den nie gefassten Burschen "Zauberer-Jackl" und Scharen von Bettelkindern, denen im Salzburgischen der Hexenprozess gemacht wurde. Selbst Dreijährige wurden des Teufelspaktes beschuldigt, 157 Todesurteile nach Folterungen vollstreckt.

Das Schutzlossein, die Einzelnen, die Opfer der Allgemeinheit werden, sind immer wieder in Mitterers Arbeiten zu finden. Auch unsere jüngere Zeitgeschichte fasziniert ihn, wobei er sehr intensiv und lange recherchiert. Wird diese zeitaufwendige Suche, die man in extenso betreiben kann, auch ein wenig von seinem Hang zur Prokrastination gespeist? Wer weiß. Fest steht, dass Mitterer keine Dokumentarstücke schreibt, aber aus reichem Material schöpfen kann.

Das Ungestüme des Hundes, der sich noch immer nicht beruhigt hat, macht uns schmunzeln. Ja, das Lachen, bemerkt Mitterer - leider könne er keine Komödien schreiben. Und wie er das kann: Tragikomödien wie die "Piefke-Saga" und sein Mozart-Stück "Die Weberischen", die ihm zu einer Zusammenarbeit mit den Tiger Lillies verhalfen, sind Edelexemplare dieses Genres.

Tobias Moretti und Felix Mitterer, "Die Piefke-Saga", 1992

Tobias Moretti und Felix Mitterer, "Die Piefke-Saga", 1992

ORF/PETER KURZ

Prix Italia für Hörspiel "Die Beichte"

Immer wieder kehrt der viel gefragte Autor zum Genre Hörspiel zurück. Eine Geste auch der Treue zu jenem Medium, mit dem alles für ihn begann. 2004 wird sein Radiostück "Die Beichte" mit dem Prix Italia ausgezeichnet; er hat es für seinen Freund Kurt Weinzierl geschrieben und später für das Theater bearbeitet. Uraufgeführt wurde es bei den Tiroler Volksschauspielen, die Weinzierl erfunden und Felix Mitterer als Autor wesentlich geprägt hat. Der schuldig gewordene Priester in diesem Stück über kirchlichen Kindesmissbrauch war Kurt Weinzierls letzte große Rolle; er bezeichnete sie neben dem Franz Jägerstätter im "Fall Jägerstätter" von Axel Corti als die wichtigste seines Lebens.

Bläulich scheint jetzt die Schneelandschaft, es beginnt zu dunkeln. Möglicherweise muss Mitterer in wenigen Stunden wieder an dem schreiben, was er sonst noch aufgeschoben hat, was ihn lange bewegte und nun andere berühren soll. Er taucht ein in die Nacht der Menschenseelen, dieser Felix Mitterer. Und wenn er mit ihnen zurückkehrt, dann kommen sie uns mit ihm entgegen: schwarze Punkte zunächst im Weiß des Daseins, dann immer näher und näher. Als ob wir selbst es wären.

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Gestaltung

  • Martin Sailer

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