Mann mit erhobenen Händen

APA/GEORG HOCHMUTH

Über Rechtsextremismus berichten

Warum die New York Times Martin Sellner interviewt

Für die "New York Times" stellt ein Interview mit Rechtsextremen kein Problem da. Katrin Bennhold, die Leiterin des Berliner Büros der renommierten US-amerikanischen Zeitung, hat mehrfach mit Martin Sellner gesprochen. Im #doublecheck-Gespräch mit Nadja Hahn erklärt sie, warum es ihrer Meinung nach wichtig ist, gerade diese Interviews zu führen.

Es wäre ein Fehler Martin Sellner nicht zu interviewen, sagt Katrin Bennhold. Im März hat die "New York Times"-Journalistin ein ausführliches Porträt über den österreichischen Chef der Identitären veröffentlicht. Darin beschreibt Bennhold Sellner als jungen, gebildeten Rechten und hinterfragt seine Ideologien mit Extremismusexperten. "Unsere Leser brauchen mehr Information, nicht weniger."


Aber sie gibt zu, dass die Entscheidung, wieviel Bühne man Personen wie Sellner gibt, keine leichte ist. "Es gibt zwei Ziele: Auf der einen Seiten müssen wir die Leser informieren, auf der anderen Seite dürfen wir nicht zum Mikrofon für Ideen werden, die Intoleranz propagieren. Dass man da nie völlige Klarheit hat, ist logisch."

Katrin Bennhold

NEW YORK TIMES

Katrin Bennhold

Von Fall zu Fall entscheiden

Bei der "New York Times" gibt es dazu keine strikten redaktionellen Vorgaben. "Es wird von Fall zu Fall entschieden. Wir haben keine klaren Regeln. Wir würden bei der 'New York Times' auch nicht in Anspruch nehmen, dass wir immer die richtigen Antworten haben, oder die rote Linie immer an der richtigen Stelle ansetzen."

Keine Frage der Fairness

Dass sie über Sellner schreiben würde, war für Bennhold aber eine klare Entscheidung, und spätestens seit dem Anschlag in Christchurch notwendig. Nachdem bekannt wurde, dass der mutmaßliche Attentäter den Identitäten eine Spende überwiesen hatte, und sich möglicherweise auch von deren Begriffen wie "Bevölkerungsaustausch" inspirieren ließ.
"Diese Ideologien sind ein wichtiger Bestandteil der heutigen Zeit. Man kann als Journalist den Lesern diese Information nicht vorenthalten und auch nicht den Zugang zu diesen Bewegungen und den Menschen, die sie leiten", so Bennhold.

"Ein Gespräch mit Sellner ist bereichernd"

Wenn man auf der Suche nach der Wahrheit sei, müsse man mit möglichst vielen Personen sprechen. "Ich lerne da immer etwas. Ein Gespräch mit Martin Sellner ist was Bereicherndes und Interessantes." Dabei gehe es auch nicht um Fairness. "Es geht nicht darum zu sagen, man muss allen Seiten gleich viel Platz in der Zeitung bieten. Es geht darum aufzuklären und etwas aufzuzeigen, was den Menschen gar nicht so bewusst ist."

Hinschauen bedeutet nicht normalisieren

In diesem Fall gehe es darum zu zeigen, in welchem Ausmaß Hass und Extremismus bereits viel normaler seien, als viele Menschen es wahrhaben wollen. Das habe auch sie bei ihren Recherchen und Gesprächen überrascht.

Den Vorwurf, mit der Berichterstattung trage man entscheidend dazu bei, dieses Gedankengut zu "normalisieren", schmettert sie ab. Ganz im Gegenteil, man müsse über Normalisierung berichten, anstatt Angst zu haben, sie zu befördern.

Die Rechten sind keine Monster

"Neonazis und Rechte sind nicht mehr die Monster, die wir dachten, die sie sind. Das sind zum Teil gebildete, junge, gut gekleidete Leute, die sich gut ausdrücken können, die nicht mit offenem Ausländerhass um sich schmeißen. Sondern das sind Intellektuelle, die europäisch vernetzt sind." Die Normalisierung, die einem als Journalist vorgeworfen wird, die sei schon Fakt, sagt Kathrin Bennhold.

Begriffe wie "Bevölkerungsaustausch" müssten öffentlich hinterfragt und analysiert werden. Sonst sei die Wahrscheinlichkeit viel größer, dass sie von der Bevölkerung akzeptiert würden, wenn sie etwa, wie von Vizekanzler und FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache erst die Woche in einem Krone-Interview, verwendet werden.


"Martin Sellner hat ja Recht, wenn er sagt, dass es keinen so großen Unterschied zwischen ihm und Heinz-Christian Strache gibt." Da brauche es kritische Medien, die das Phänomen aufgreifen und kritisch in ihre Berichterstattung aufnehmen. "Man muss explizit machen, dass diese Ideen, auch wenn die Sprache bereinigt wurde, den alten rechten Neonazitheorien sehr ähnlich sind, beziehungsweise das gleiche sind, nur netter ausgedrückt."

Eine Frage des Selbstbewusstseins

Wie man über umstrittene Personen berichte, sei letztlich eine Frage des Selbstbewusstseins. Man entscheide ja selbst, was man letztlich schreibe, und was nicht. Zu sagen, man rede grundsätzlich nicht mit Personen wie Sellner, würde bedeuten dem Leser und der Leserin etwas vorzuenthalten. Außerdem sei es scheinheilig über deren Ideen zu berichten, sie aber nicht direkt zitieren zu wollen.

Dass Martin Sellner von ihrem Artikel profitiert habe, weil er dadurch eine ungleich größere mediale Aufmerksamkeit bekommen habe, glaubt Bennhold nicht. "Der Artikel war sehr kritisch. You can’t be clearer."

Journalismus sei eben kein unkompliziertes Handwerk. Man dürfe nicht so tun, als gäbe es klare und eindeutige Antworten, ob und wie man über etwas berichte. Man müsse sich der Herausforderung immer wieder neu stellen.

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