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Terror-Berichterstattung
Kodex für die Terror-Berichterstattung
Live drauf und nah dran. Die Berichterstattung über Terror ist für Medien ein heikles Eisen, denn das Geschäft der Terroristen ist die große Inszenierung. Mit Richtlinien wollen sich einige Medien Abhilfe schaffen.
3. Juni 2019, 02:00
APA/AFP/MARTY MELVILLE
Jacinda Ardern
Ein rechtsextremer Attentäter, der sich im Internet radikalisiert haben soll, tötet in Neuseeland 50 Menschen. Der Terror von Christchurch erschüttert die ganze Welt. Die Neuseeländer reagieren auf eine beispiellose Weise. Premierministerin Jacinda Ardern weigert sich etwa, dem Täter eine Plattform zu geben: "Er wollte viele Dinge mit seinem Akt des Terrors erreichen. Eines davon war, berühmt zu werden. Sie werden deshalb von mir niemals seinen Namen hören."
Medien-Allianz vor Christchurch-Prozess
Die wichtigsten neuseeländischen Medien haben sich vor dem Prozessbeginn gar auf Leitlinien für die Berichterstattung geeinigt. In der Erklärung heißt es unter anderem, man wolle "jede Berichterstattung über Äußerungen begrenzen, die Theorien zur weißen Überlegenheit oder terroristische Theorien aktiv fördern". Bilder, die den Angeklagten mit rassistischen Gesten oder Symbolen zeigen, sollen nicht verbreitet werden.
Islamistischer Terror überrepräsentiert
An der Universität Wien läuft seit drei Jahren ein Forschungsprojekt über Terrorismus-Berichterstattung. Auch hier ist es das Ziel, Empfehlungen zu formulieren, wie man berichten soll. Nicht auf den Täter, sondern auf die Opfer fokussieren, heißt es da unter anderem, sagt Desiree Schmuck, die der Forschungsgruppe angehört.
Schmuck widerspricht der These, dass rechtsextremer Terror mehr Aufmerksamkeit bekomme als islamistischer Terror, wie es nach den Anschlägen in Sri Lanka auf christliche Kirchen zu Ostern hieß. "Islamistischer Terror überwiegt in der Terror-Berichterstattung, obwohl er in absoluten Zahlen in der Wirklichkeit nur einen kleinen Teil der Terrorattacken einnimmt." Das würden Studien über die Berichterstattung US-amerikanischer Medien zeigen, so Schmuck. Wobei, so ergänzt die Forscherin, islamistische Anschläge mehr Todesopfer gefordert hätten, wodurch die vermehrte mediale Aufmerksamkeit zum Teil erklärbar sei.
Studien würden darüber hinaus zeigen, dass Medien bei rechtsextremem Terror vorsichtiger bei ihrer Wortwahl seien, vor Begriffen wie "Anschlag" eher zurückschrecken und stattdessen etwa von "Schießereien" sprechen. Bei Tätern mit islamistischem Hintergrund sei dies nicht so, sagt die Kommunikationswissenschafterin Schmuck.
Redaktionsrichtlinie bei Puls4
Viele Redaktionen machen sich bereits darüber Gedanken, wie sie verantwortungsvoll über Terror berichten können. Puls4 hat etwa mithilfe von Experten eine Richtlinie erarbeitet. Anlass war das Aufkommen der Terrorgruppe IS, erzählt Infochefin Corinna Milborn. "Wir sind damals vor der Situation gestanden, dass wir über eine Terrorgruppe berichten und dabei als Fernsehsender Bilder verwenden, die über die Agenturen kommen, aber in Wirklichkeit genau die sind, die der IS selbst im Fernsehen haben will." Nun arbeitet Puls4 mit einem eigens angelegten Bilderarchiv, von dem Experten denken, dass sie keine heroische Inszenierung vermitteln. Verbannt wurden hingegen Bilder wehender Fahnen, Militärübungen und martiale Szenen.
Radikalisiertes Internet
Man müsse sich vor Augen führen, dass Terroristen darauf angewiesen sind, dass Medien ihre Bilder transportieren. Das gilt zwar heute auch noch, durch die Sozialen Medien habe sich das aber relativiert, wie Eva Linsinger, Innenpolitik-Chefin beim Nachrichtenmagazin "profil", sagt. Der Attentäter von Christchurch übertrug sein Massaker live auf Facebook. Das soziale Netzwerk löschte das grausame Video zwar, es wurde aber allein in den ersten 24 Stunden nach den Attentaten 1,5 Millionen Mal wieder hochgeladen. Facebook will nun seine Richtlinie für Livestreams überarbeiten.
Terrorbilder für die Ewigkeit
Terrorismus lebt von Bildern, das wissen eben auch Terroristen, nicht erst seit den einstürzenden Türmen des World Trade Centers 2001, die sich in das Weltgedächtnis eingebrannt haben. "Timothy McVeigh, der amerikanische Bomber, hat angeblich das Haus, dass er in die Luft gesprengt hat (1995 in Oklahoma, Anm.), danach ausgesucht, wie es vom Blickwinkel der Fernsehkameras ankommt."
Was wird berichtet, was zensiert, macht man sich zum Erfüllungsgehilfen von Attentätern und Extremisten und wo endet die Berichtspflicht? "Ich glaube diese Fragen müssen sich seriöse Medien jeden Tag aufs Neue stellen und auch immer wieder neu beantworten", sagt Linsinger.