Der Youtuber Rezo auf einem Handydisplay

ORF

YouTuber Rezo und sein Video

Fucking Message für verstaubte Parteien

In Deutschland nimmt der YouTuber Rezo in seinem Video-Hit die Klimapolitik der CDU nach allen Regeln der Kunst auseinander. Das Video wird wenige Tage vor der EU-Wahl millionenfach geklickt und geteilt. Die beinharte Meinungsmache in der vernetzten Online-Welt erwischt Politik und Medien eiskalt.

Ein junger Mann im orangenen Kapuzenpullover und knallblauen Haaren erklärt der Welt von seinem Schreibtisch aus, was er von der deutschen Politik hält und trifft den Nerv einer Generation. Klima-Ziele nicht einhalten, das geht gar nicht. "Das ist doch kein Verhalten für eine fucking Bunderegierung", so der 26-jährige YouTuber. "Wenn das meine Angestellten wären, ich würde die sofort rausschmeißen", raunt Rezo, der bis dato eher mit humoriger Unterhaltung auf der Videoplattform auffiel, der Großen Koalition in Berlin entgegen. Das Video mit dem Titel "Die Zerstörung der CDU" wird eine Woche vor der EU-Wahl veröffentlicht. Fast 15 Millionen Mal wurde es bereits gesehen, es hat mehr als eine Million Likes und hunderttausende Kommentare.

In geballten 55 Minuten behandelt Rezo vor allem die seiner Meinung nach zu lasche Klimapolitik der CDU, außerdem geht es um Wohlstandsverteilung, von deutschen Basen aus gesteuerte US-Drohnenangriffe und Drogenpolitik. Das Video endet mit einem eindringlichen Appell. "Wählt bitte nicht die SPD, wählt bitte nicht CDU, wählt bitte nicht die CSU, und schon gar nicht die AfD. Die größte Wahlmacht haben die Alten, nicht wir."

Von wegen Politikverdrossenheit

Kurz vor der EU-Wahl war das der vielleicht letzte Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte. Die traditionellen Parteien werden an der Urne abgestraft, die Grünen sind nicht nur bei den unter 30-Jährigen der große Gewinner.

"Dieses Video hat vieles auf den Punkt gebracht", sagt der Unternehmer, Speaker und EU-Jugendbotschafter Ali Mahlodji. "Schon bei den Fridays-for-Future-Demonstrationen haben die Jugendlichen gesehen, dass die Erwachsenen und die klassische Politik sie nicht ernst nehmen, sondern sie sogar eher als Schulschwänzer auslachen", sagt Mahlodji. Politikverdrossenheit ist Mahlodji nie begegnet: "Ich habe bei all meinen Besuchen in Schulen immer Jugendliche gesehen, die sich für die Welt interessieren. Nur haben sie das Gefühl gehabt, ihnen hört niemand zu."

Um Antwort wird gebeten

Die politischen Parteien erwischt das Video größtenteils eiskalt. Die CDU kündigt zwar ein Antwort-Video an, veröffentlicht es aber nie. Man wolle sich auf keine "Video-Schlacht" einlassen, wird betont. Stattdessen wird auf der Partei-Website eine elfseitiges PDF-Dokument hochgeladen, in dem Rezo direkt angesprochen wird: "Offene Antwort an Rezo. Wie wir die Sache sehen."

Ein Fehler, findet Mahlodji. "Ich würde der Politik schleunigst raten, authentisch zu werden." Nach dem viralen Hit von Rezo wäre es höchst an der Zeit gewesen, den direkten Kontakt zu suchen und schnell auf demselben Kanal zu replizieren: "Es wäre überhaupt nichts falsch daran gewesen, wenn sich die CDU-Spitze hingestellt hätte und ein Video aufgenommen hätte, wo sie einfach authentisch zugegeben hätte, dass sie mit der Thematik etwas überfordert sind."

Doch die Politik wird von der Medienrevolution und der Meinungsmache im Internet überrascht. "Im freien Spiel der Kräfte im Internet bist du nicht mehr nur bloß Konsument von Informationen der Politik, sondern du kannst auch deine eigene Meinung kundtun", sagt Mahlodji. Politiker müssten es aushalten, dass junge Menschen ihren Meinungen, ihren Fragen und ihrer Enttäuschung Stimme verleihen.

Der digitale Generationenkonflikt

Für Dirk von Gehlen, Autor und Journalist bei der "Süddeutschen Zeitung", offenbart die Causa den ganzen Generationenkonflikt. Die junge Generation gehe anders mit dem Internet um und habe andere Ansprüche und Forderungen an Klimapolitik. Generationenkonflikte seien zwar nicht neu und habe es immer schon gegeben, durch die Klimakrise bekäme die aktuelle Situation aber besondere Brisanz. Auch das Aufkommen der Fridays-for-Future-Bewegung rund um die schwedische Galionsfigur Greta Thunberg sowie die umstrittene EU-Urheberrechtsreform – Stichwort: Internet-Zensur - hätten zur aktuellen Dynamik beigetragen, glaubt von Gehlen.

Er appelliert, die Debatte auch inhaltlich zu führen. Die politischen Parteien und die Medien seien sehr stark darauf eingegangen, dass es sich um ein YouTube-Video handelt. "Wir haben den technischen Verbreitungsweg total in den Mittelpunkt gestellt und gar nicht thematisiert, was der eigentlich inhaltlich kritisiert hat. Das ist so, als würde man einen Kommentar in einer Tageszeitung auf Papier dahingehend abprüfen, wie er gedruckt ist, welche Papierqualität da ist - und gar nicht auf den Inhalt achten."

Im Netz gibt es keine Kontrolle

Hinzu komme eine Arroganz und oftmals ein herablassender Tonfall gegenüber jungen Menschen, die sich im Netz politisch äußern, sei es auf YouTube oder anderswo. "Das Ende des kultivierten Dialogs?" fragte beispielsweise die Frankfurter Allgemeine Sonntagzeitung verdutzt auf dem Titelblatt. Mit der gar nicht mehr so neuen Art der direkten Kommunikation kommen nicht alle zurecht. Ali Malhodji: "Sie haben oft Angst, dass wenn sie sich auf YouTube einlassen, die Kontrolle über ihre Kommunikation verlieren. Und die Kontrolle haben sie sowieso schon längst verloren. Wenn sie nicht aktiv den Dialog auf diesen Plattformen führen, werden andere Menschen über sie einen Dialog führen, und sie werden niemals Teil davon sein."

Stummer Schrei der Medienrevoluzzer

Auch die Medien hatten so ihre Probleme mit dem YouTube-Hit - zeigen die Wellen, die das Video schlägt, doch ihre geschmälerte Rolle im digitalen Zeitalter. Der Journalismus als Gatekeeper, der bestimmt, was Sache - also interessant und relevant ist, das war einmal, analysiert etwa der Tübinger Medienwissenschafter Bernhard Pörksen in der "Süddeutschen".

Dabei könnten Medien von Rezo und anderen Influencern lernen, etwa wie man mit jungen Menschen auf Augenhöhe kommuniziert. Eine Stunde frontale Information à la Rezo würden sich viele Redaktionen nicht trauen. Journalist Dirk von Gehlen warnt vor falscher Vorsicht. "Vielleicht ist das eine Lehre, dass wir als Medien insgesamt uns zutrauen müssen, unser Publikum zu fordern." Durch das Internet haben Medien außerdem die Chance, Interessen des Publikums wahrzunehmen und mit ihm zu kommunizieren, sagt von Gehlen. In der aktuellen Debatte sei es die Aufgabe von Medien, die Vorgänge und Abläufe im Netz zu erklären. Von Gehlen spricht von einer "digitalen Alphabetisierung", die etwa Zugriffszahlen kontextualisiert und hinterfragt.

Neue Maßstäbe in Transparenz

Auch technisch können die neuen Medien-Schaffenden im Netz ein Vorbild sein, sagt von Gehlen und verweist auf das 13-seitige Dokument, das Rezo zusammen mit dem Video veröffentlicht hat und in dem er alle Quellen für seine Kritik auflistet.

Rezo sieht sich selbst übrigens nicht als Journalist. Auf Twitter schreibt er: Er habe nur seine "Meinung austauschen" wollen. Nur halt vielleicht mit mehr Belegen, als das so üblich sei.

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