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Radiokolleg
Gedankenspiele zur Zukunft
Was wäre, wenn die Wirtschaft schrumpft, wir nur mehr 20 Stunden pro Woche arbeiten müssten, kein Fleisch mehr essen würden oder ewig leben würden? Vier Gedankenexperimente.
27. Jänner 2020, 02:00
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Radiokolleg | 02 01 2020 | 09:05 Uhr
Wenn die Wirtschaft schrumpfen würde, hieße das nur Verzicht auf liebgewonnene Luxusgüter oder wäre das Überleben der Spezies Mensch überhaupt in Frage gestellt? Wenn wir nur mehr 20 Stunden pro Woche arbeiten. Würden wir uns mehr dem Lebenssinn, der Familie, den Freunden widmen? Was wäre, wenn wir kein Fleisch mehr essen? Würde die damit verbundene Reduktion der Treibhausgasse eine nachhaltige Verbesserung der globalen Lebensbedingungen herbeiführen? Was wäre, wenn wir ein Elixier der Unsterblichkeit trinken könnten? Würde es keinen Fortschritt mehr geben, wenn alle unsterblich sind?
AFP/TORSTEN BLACKWOOD
Die von Lehman Brothers verschuldete Finanzkrise lies zum ersten Mal seit sehr langer Zeit das Gespenst einer schrumpfenden Wirtschaft am Horizont erscheinen – eine Horrorvorstellung in einem ökonomischen System, das auf ständiges Wachstum ausgelegt ist. Warum das in der kapitalistischen Wirtschaft so ist, erläutert die Universitätsprofessorin Sigrid Stagl, Leiterin des Institutes für ökologische Ökonomie an der Wirtschaftsuni Wien.
„Man geht davon aus, indem man höheres Einkommen für die Bevölkerung hat, das die anderen Variablen, die man in der Wirtschaftspolitik, Sozialpolitik und anderen relevanten, gesellschaftlichen Dimensionen ansteuert, gleichzeitig positiv mit erfüllt werden.“
"Es wird die Annahme getroffen, dass gesellschaftlicher Nutzen nur durch Wirtschaftswachstum erzielt wird."
Kommt es zu einem Negativwachstum, dann hat das in einer Wirtschaft, die auf Wachstum ausgerichtet ist, sehr schnell dramatische Folgen. Die Krisen in Griechenland und Spanien haben das deutlich gezeigt. So geriet zum Beispiel die Gesundheitsvorsorge ins Wanken und Medikamente standen teilweise nicht mehr zu Verfügung.
Aber muss das alles so sein? Nein, meint die Wirtschaftsprofessorin Sigrid Stagl. Gängige ökonomische Theorien gingen davon aus, dass gesellschaftlicher Nutzen nur durch Wirtschaftswachstum erzielt werden könne. „Dann wird sehr schnell die Annahme getroffen, dass Nutzenmaximierung durch Konsummöglichkeiten abgebildet werden kann. Das ist natürlich ein ganz weiter philosophischer Sprung, bei dem viel verloren geht.“
Daher dürfe man die Ökonomie nicht ausschließlich vom Konzept eines Wachstums per se denken, sondern müsse die Kategorie der Bedürfnisbefriedigung ins Spiel bringen.
„Wenn man die Wirtschaft danach ausrichtet, tritt die Frage des Wirtschaftswachstums in den Hintergrund. Wenn öffentlicher Verkehr, in einer gewissen Qualität, sichergestellt ist. Wenn Bildung in einer gewissen Qualität sichergestellt ist. Wenn Gesundheitseinrichtungen gut ausgestattet sind, dann ist eine Grundversorgung vorhanden. Wenn der Wohnungsmarkt so ausgerichtet ist, dass man Zugang hat, dann ist die Frage nach der Einkommensentwicklung, natürlich noch eine Bedeutende, aber nicht mehr so dramatisch.“
Von jenen Schrumpfungsökonomien, die als Appelle an individuelle und gesellschaftliche Mäßigung seit den 1970er Jahren unter Namen wie Decroissance oder Degrowth immer wieder am politischen Horizont aufflackern, hält aber auch Sigrid Stagl nicht viel. Sie, die im Sinne einer ökologischen Ökonomie argumentiert, ist nicht der Meinung, dass trotz immer knapper werdenden Ressourcen das Heil der Welt im Schrumpfen der Wirtschaft liegt. Nach ihrer Vorstellung muss man den wirtschaftlichen und klimapolitischen Herausforderungen der nächsten Jahrzehnte begegnen indem das derzeit herrschende lineare Produktionsmodell aufgelöst wird und seine weitgezogenen geografischen Kreisläufe viel enger gezogen werden.
AFP/KIRILL KUDRYAVTSEV
Wenig arbeiten zu wollen, ist begründungsbedürftig, sich von der Arbeit nicht auffressen zu lassen steht dem zur Normalität gewordenen „im Stress sein“ diametral gegenüber. Tatsächlich arbeiten in Österreich über 1, 2 Millionen Menschen Teilzeit. Unbezahlte Arbeit im Haushalt, familiäre Pflichten und Tätigkeiten werden nicht eingerechnet.
"Es reicht, wenn wir acht Stunden pro Woche arbeiten.“
„Es stellt sich die Frage: wie viel Arbeit braucht es“, meint Jörg Flecker, Professor für Soziologie an der Universität Wien. „Kollegen der Universitäten von Cambridge und Salford haben in einer Studie die Frage gestellt: Welche Dosierung von Erwerbsarbeit brauchen wir? Was ist für die psychische Gesundheit notwendig? Das überraschende Ergebnis war, dass wir nicht extrem viel davon brauchen, sondern es reicht, wenn wir acht Stunden pro Woche arbeiten.“ Das Team befragte 70.000 Menschen quer durch alle Berufe in Großbritannien.
Experimente zu einer 4-Tage-Woche bzw. zu einer Arbeitszeit von sechs Stunden täglich gab es bereits. Im Microsoft-Konzern in Japan oder bei der neuseeländischen Fondsgesellschaft Perpetual Guardian arbeiten die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bei gleicher Bezahlung nur noch vier Tage - und sind, so gaben sie an, effektiver und zugleich weniger gestresst. Sie hatten das Gefühl, nicht einfach Zeit abzusitzen.
Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der befragten Firmen trieben mehr Sport, verbrachten mehr Zeit mit Angehörigen, erlernten Neues oder taten einfach nichts Besonderes. Allerdings hat sich auch gezeigt: je geisttötender die Erwerbsarbeit, desto weniger befriedigend die Freizeitbeschäftigung.
AFP/ODD ANDERSEN
Fleischersatzprodukte sind mittlerweile auf dem Vormarsch. Die Unternehmensberatung A.T. Kearnsey hat errechnet, dass im Jahr 2040 nur noch rund 40 Prozent der weltweit verkauften Fleischmenge von Tieren stammen, die große Masse an Steaks, Braten und Würstchen aber werde durch pflanzliche Imitate oder synthetisches Fleisch aus der Biofabrik ersetzt. Ein Paradigmenwechsel in Bezug auf Ernährungsgewohnheiten scheint sich somit anzubahnen.
Wozu all die Körner noch umständlich durch die Sau jagen, wenn man sie direkt an den Konsumenten verkaufen kann?
Schon ein Umstieg auf die sogenannten globalen Ernährungsrichtlinien, die eine Reduktion von Fleischkonsum und eine größere Nachhaltigkeit in der Nahrungsmittelproduktion empfehlen, hätte weitreichende Effekte, meint der deutsche Ernährungswissenschaftler Marco Springmann, der an der Oxford Martin School in Großbritannien lehrt.
„Wenn man dann zu einer pflanzenbasierten Ernährung übergeht, kann man sieben oder acht Millionen Tode verhindern, die CO 2-Emissionen um zwei Drittel verringern und Umweltschäden in der Größenordnung von 1,5 Billionen verhindern.“
Dazu kommt, dass Millionen Nutztiere nicht mehr leiden müssten, denn niemand würde sie in dieser Anzahl noch brauchen. Und jene Hälfte aller weltweit geernteten Ackerpflanzen, die heute im Jahresschnitt an rund eine Milliarde Schweine, 1,5 Milliarden Rinder und 22 Milliarden Hühner verfüttert wird, könnten anderweitig verwertet werden.
Es gibt aber auch andere Experten, welche die Sache deutlich differenzierter sehen. In der Fleischproduktionsindustrie seien so viele Menschen beschäftigt, dass ein radikaler Umstieg auf eine fleischlose Ernährung der Weltgesellschaft radikale politische Konsequenzen hätte, meint der aus Brasilien stammende Ernährungswissenschaftler Martin Gierus, der das Institut für Tierernährung, Tierische Lebensmittel und Ernährungsphysiologie an der Universität für Bodenkultur in Wien leitet.
Auch dem Argument der Verringerung von Treibhausgas-Emissionen durch das Beenden einer tierbasierten Nahrungsmittelökonomie möchte sich Martin Gierus nicht anschließen: „Da wir dann andere Lebensmittel in größeren Mengen zu uns nehmen müssten, zum Beispiel aus dem Ackerbau, würde das nicht zu einer Reduktion der Emissionen führen, sondern nur zu einer Verlagerung.“ Das Argument, dass übermäßiger Fleischkonsum gesundheitsschädliche Wirkung habe, ist für den Ernährungswissenschaftler von der Boku ebenfalls nicht stichhaltig: Im Gegenteil: „Bestimmte Nährstoffe, wie einige Vitamine, Fettsäuren finden sich nur in Fleisch.“
Auch wenn Martin Gierus keine vollkommene Abkehr vom Fleischkonsum propagiert, so ist doch auch er der Meinung, dass eine Reduktion für die langfristige und nachhaltige Entwicklung der Gattung Mensch von Vorteil wäre. Man müsse eben an ein paar Stellschrauben drehen, um die Sache gesellschaftlich und politisch praktikabel zu machen.
DPA/PAUL ZINKEN
Der Philosophieprofessor John Davis hat ausgerechnet, wie sich die Unsterblichkeit konkret auswirken würde. Er setzt die Grenze für die Unsterblichkeit relativ niedrig an: Wenn die Menschen 150 Jahre alt würden und jede Frau zwei Kinder bekäme, dann würde sich die Bevölkerung verdreifachen- und wir hätten eine Überbevölkerungskrise.
"Millionen sehnen sich nach Unsterblichkeit. Und wissen noch nicht einmal an einem verregneten Sonntagnachmittag etwas mit sich anzufangen"
Es ist ein alter Menschheitstraum und doch gibt es Argumente, warum man sich von diesem Traum besser verabschiedet. „Ein Grund warum wir uns doch besser nicht wünschen unsterblich zu sein ist, dass es wahrscheinlich unglaublich langweilig werden würde“, meint Kulturwissenschaftler Thomas Macho auf ein Gedankenexperiment eingelassen.
Wer ewig Zeit hat, verliert den Antrieb etwas zu tun. Es ist die Endlichkeit, die unsere Gesellschaft antreibt. Ohne Endlichkeit würde es keine Sehnsucht nach Unsterblichkeit geben, meint Thomas Macho. Würde noch jemand komponieren, Bücher schreiben, malen, forschen? Noch ist das die einzige Möglichkeit, über den eigenen Tod hinaus zu wirken. Und auch die Natur setzt auf den Tod als Impuls.
Auch in politischer Hinsicht wäre kein Raum für Experimente: Die Alten würden bestimmen wie es läuft, nämlich wie immer. Die nächste Generation käme nicht mehr an die Macht. Welche Impulse zur Veränderung aber von den Jungen ausgehen, sieht man derzeit im Klimaschutz. Möglich wäre auch, optimistisch gedacht, dass - wenn alle alt werden- die Menschen motiviert wären in größeren Zeitspannen zu denken.