Ein Mann spielt Thomas Cromwell auf einer Theaterbühne

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Sigrid Löffler über Mantels Trilogie

"Cromwell hat die Dreckarbeit gemacht"

Die englische Schriftstellerin Hilary Mantel hat soeben ihre Cromwell-Trilogie mit dem Roman "Spiegel und Licht" abgeschlossen. Sigrid Löffler hat die komplette Trilogie gelesen und mit Ö1 über den genialen Staatsmann und Ratgeber von König Heinrich VIII., die Neuerfindung des historischen Romans und literarische Kunstgriffe gesprochen.

Die Frage, wie genau er sich um den König verdient gemacht habe, beantwortet die Literaturkritikerin so: "Unverblümt gesagt: Cromwell hat für seinen König die Dreckarbeit gemacht. Er hat seine Scheidungen gemanaged, seine zweite Frau aufs Schafott gebracht und auch die dritte und vierte Ehe arrangiert."

Die Idee, über Thomas Cromwell zu schreiben, habe Hilary Mantel schon vor langer Zeit gehabt, sagt sie, ihr sei aber auch immer klar gewesen, dass dies ein Projekt von enormem Umfang sein würde. Gereizt habe sie an dieser historischen Figur, dass sie in der Literatur fast keine Rolle spiele. Cromwell sei eine zentrale Figur in einer der bekanntesten Epochen der englischen Geschichte, doch in der Literatur sei er vollkommen vernachlässigt worden. An dieser Leerstelle habe sie angesetzt.

Hilary Mantel

Hilary Mantel

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Brillant, belesen und ruchlos

Bis vor zehn Jahren war sein Name außer in Fachkreisen völlig vergessen, heute kennt ihn die ganze bücherlesende Welt: Thomas Cromwell, den genialen Staatsmann und zweitmächtigsten Mann Englands am Hofe des notorischen Tudor-Königs Heinrichs VIII. Diese Auferstehung aus den Sarkophagen der Geschichtsschreibung verdankt sich dem monumentalen historischen Romanzyklus von Hilary Mantel, deren erste beiden Cromwell-Romane "Wölfe" und "Falken" es jeweils zu Welt-Bestsellern in Millionenauflage brachten. Beide gewannen den renommierten Booker-Preis und wurden fürs Fernsehen und für die Bühne adaptiert.

Erzählt wird darin der phänomenale Aufstieg Cromwells, der von 1485 bis 1540 lebte, vom Sohn eines Grobschmieds zum allmächtigen Minister und Schatzkanzler, indem er sich Heinrich dem achten als dessen engster Ratgeber, Chefstratege und Top-Diplomat unentbehrlich machte. Es ist Hilary Mantels Anliegen, Thomas Cromwell - die neben König Richard III. meistverleumdete Gestalt der englischen Geschichte - zu rehabilitieren. Sie zeichnet Cromwell nicht so sehr als Bösewicht, der für seinen König die Dreckarbeit macht, sondern vielmehr als schillernden Mann der Aufklärung und anbrechenden Moderne, der als vielseitiger Reformpolitiker seiner Zeit weit voraus ist - brillant, belesen, mehrsprachig, weitgereist in Europa, weitblickend und loyal. Im Dienst seines Königs ist er allerdings auch zu manchen Ruchlosigkeiten fähig.

Sprachmächtige Tatsachenromane

Der Abschlussband der Romantrilogie, "Spiegel und Licht", ist ein gewaltiges, rund 1.100 Seiten umfassendes Finale, worin Cromwells Abstieg und Sturz erzählt wird. Der Roman versetzte die anglo-amerikanische Kritik überwiegend in ekstatischen Jubel. Im Überschwang der hymnischen Begeisterung schienen ihr selbst Vergleiche mit Vergils "Aeneis" und Tolstojs "Krieg und Frieden" nicht zu hoch gegriffen.

Der Roman erzählt die vier Jahre zwischen der Enthauptung Anne Boleyns, der zweiten Ehefrau Heinrichs VIII., und Cromwells eigener Hinrichtung vier Jahre später. Da die Vorgänge allgemein bekannt sind, muss die Kunst darin liegen, die Geschichte spannend zu erzählen, obwohl wir den Ausgang kennen. Hilary Mantel hat die Tudor-Zeit, eine in England von der Unterhaltungsindustrie scheinbar ausgereizten Epoche, vom Triviallgenre in sprachmächtige historische Tatsachenromane überführt.

Sigrid Löffler

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Sigrid Löffler

Frau Löffler, Thomas Cromwell ist eine übel beleumundete Gestalt in der englischen Geschichte. Er gilt als großer Bösewicht, fast wie König Richard III. Hilary Mantel zeichnet ein ganz anderes Bild von ihm. Wie tritt er uns in ihrer Romantrilogie entgegen?

Sein Bild in der Geschichte ist von Verleumdungen verzerrt. Thomas Cromwell war ein genialer Staatsmann. Er war der mächtigste Mann Englands nach dem König, der Schatzkanzler, engste Berater und Top-Diplomat von König Heinrich VIII. Und das, obwohl er kein Adeliger war, sondern ein Selfmademan aus dem Volk, der Sohn eines Schmieds. Er verdankte seinen Aufstieg allein seinen brillanten Begabungen und Fähigkeiten, er war also der Vorläufer einer neuen Leistungselite. Als Emporkömmling war er entsprechend verhasst bei den alten Adelsfamilien, den mächtigen Feudalherren, die seit jeher in England herrschten.

Mit ihrer Trilogie möchte Hilary Mantel Cromwell rehabilitieren - und das ist ihr auch glänzend gelungen. Insofern hat sie die Geschichte umgeschrieben. Sie zeichnet Cromwell als schillernde Figur einer Zeitenwende, als Mann der Aufklärung und anbrechenden Moderne, als einen der ersten Europäer. Als vielseitiger Reformpolitiker war er seiner Zeit weit voraus - brillant, belesen, mehrsprachig, weitgereist in Europa, weitblickend und loyal. Im Dienst seines Königs war er allerdings auch zu manchen Ruchlosigkeiten fähig.

Thomas Cromwell war zehn Jahre lang der wichtigste Ratgeber von König Heinrich VIII. Wie genau hat er sich um den König verdient gemacht?

Unverblümt gesagt: Cromwell hat für seinen König die Dreckarbeit gemacht. Er hat seine Scheidungen gemanaged, seine zweite Frau aufs Schafott gebracht und auch die dritte und vierte Ehe arrangiert. Mit der Scheidung von seiner ersten Frau provozierte der König den Bruch mit dem Papst. Cromwell hat England durch diesen religiösen Brexit mit Rom gesteuert. Er hat die englische Reformation befördert und eine eigenständige anglikanische Kirche auf den Weg gebracht - mit dem König, nicht dem Papst als Oberhaupt. Er hat die englischen Klöster aufgelöst und deren Einkünfte dem König zugeleitet. Er hat den König reich gemacht.

Cromwell ist vor allem mit der Heiratspolitik seines Königs beschäftigt. Sechs Frauen hat Heinrich der Achte "verschlissen" (so muss man es wohl sagen). Im dritten Teil "Spiegel und Licht" geht es um die Frauen Nummer drei und vier und um die Ungnade, in die Cromwell als Heiratseinfädler fällt. Was hat er falsch gemacht?

Cromwell hatte mehr die Bündnispolitik Englands als den erotischen Geschmack des Königs im Blick. Er wollte ein Bündnis mit den deutschen Fürsten schmieden und suchte deshalb als vierte Ehefrau eine deutsche Prinzessin aus, Anna von Kleve aus Düsseldorf. Der Hofmaler Hans Holbein hatte ein schmeichelhaftes Porträt der jungen Frau gemalt - ein Bild, dem Anna in der Realität dann nicht entsprach. Der König war enttäuscht und verstieß sie nach wenigen Monaten, mit der Begründung, er könne sie nicht riechen.

Dieser Missgriff war aber nur der letzte Auslöser für Cromwells Sturz. Sein Sturz hatte sich lange angekündigt, denn die papst-treuen und reaktionären Kräfte am Hof und in der Kirche verbündeten sich gegen Cromwells Reformpolitik und hetzten den König mit Verleumdungen gegen ihn auf. Also endet auch der dritte Band von Mantels Cromwell-Trilogie auf dem Schafott - mit der Enthauptung Cromwells.

Die gesamte Cromwell-Trilogie Hilary Mantels umfasst fast 2.500 Seiten. Ist dieser Umfang gerechtfertigt? Trägt der Romanheld Cromwell über diese lange Strecke? Kann er das Interesse des Lesers halten?

Absolut. Das Jahrhundert der Tudor-Könige, also Heinrichs VIII. und seiner Tochter Elisabeth, war eine unerhört farbenprächtige und faszinierende, aber auch gewalttätige Epoche, das Zeitalter der Renaissance und der englischen Reformation. Und Thomas Cromwell war einer ihrer führenden Akteure. Sein phänomenaler Aufstieg und sein Sturz lesen sich atemberaubend spannend.

Unter Literaturkritikern hat das Genre des historischen Romans ja keinen guten Ruf. Der historische Roman wird oft als Kostümschinken oder Trivialschmöker abgetan. Was macht Hilary Mantel in ihrer Tudor-Trilogie anders, dass die Kritiker so begeistert sind?

Hilary Mantel hat den historischen Roman neu erfunden, quasi im Alleingang. Sie hat dieses ausgelaugte Genre von seinem schlechten Ruf befreit und aus den Niederungen der Trivialliteratur in die neuen Höhen eines dokumentarischen historischen Tatsachenromans hochgeschrieben.

Und das gelingt ihr mit zwei literarischen Kunstgriffen. Sie erzeugt beim Leser ein Gefühl, jetzt direkt dabei zu sein, indem sie die Geschichte in einem rasanten Präsens erzählt und die Handlung in Dialogen vorantreibt, und diese Dialoge sind schneidig, schlagfertig und oft sehr witzig. Und zweitens versetzt sich Mantel in das Bewusstsein ihres Helden, indem sie alle Vorgänge aus seiner Perspektive schildert. Was Cromwell tut, was er denkt, fühlt, plant, träumt und fürchtet und was ihm geschieht, das wird uns so ganz unmittelbar nahegebracht. Wir sind als Leser mit Cromwell in der Welt der Renaissance unterwegs. Das ist ein ganz großes Lesevergnügen.

Das Gespräch führte Peter Zimmermann.

Service

Hilary Mantel, "Spiegel und Licht", übersetzung von Werner Löcher-Lawrence, DuMont Verlag

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