Oberkörper von Männern in Anzügen (Kogler, Kurz, Anschober)

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Doublecheck

Corona: Männer erklären die Krise

Die Corona-Krise haben die Männer erklärt. Obwohl bemerkt wurde, dass besonders viele Frauen negativ von den Folgen betroffen sind, weil sie Job und Kinder vereinbaren müssen oder ohnehin schon in unsicheren Jobs arbeiten. Aber als Experten oder Interessenvertreter waren meist Männer am Wort, auch die Ministerinnen hatten viel weniger Berichterstattung als ihre männlichen Kollegen, das belegen Analysen.

Diversität, das ist so ein Thema wo man in allen Medienhäusern sagt: Ja, das ist uns wichtig. Doch die Umsetzung ist dann eben doch schwierig. Diversität bedeutet viel: Da geht es darum, möglichst alle Teile der Gesellschaft abzubilden, etwa Personen anderer Herkunft oder Hautfarbe, ältere und jüngere Menschen - und es geht natürlich um die ausgewogene Repräsentanz von Männern und Frauen. Besonders hier hat die Corona-Krise die bestehende Schieflage ans Licht gebracht.

Männerrunde

ORF

Frauen sind betroffen, Männer reden

Das "Momentum Institut" hat sich Talkshows und Diskussionen zu Corona in Österreich angeschaut - darunter das Ö1-Format "Im Journal zu Gast", die ZIB2, "Im Zentrum" - aber auch Talk im Hangar 7 auf Servus TV und Pro & Contra auf Puls4. Das Resultat: nicht einmal jeder dritte Gast war eine Frau. Und nur jeder vierte Experte war weiblich. Wobei man hier dazu sagen muss: Wir wissen nicht, wie viele Frauen angefragt wurden und abgesagt haben. Insgesamt zeigt die Auswertung deutlich: Vor der Krise waren in Talkshows mehr Frauen am Wort als nachher.

In Deutschland etwa kamen in Sondersendungen zur Krise auf eine Expertin vier Experten, das hat die Malisa-Stiftung in einer Studie erhoben. In den Bereichen Pflege und Medizin, wo überwiegend Frauen tätig sind, waren es in den TV-Informationssendungen noch weniger weibliche Gesprächspartner, bei Ärztinnen und Forscherinnen in leitenden Funktionen lag der Anteil bei nur fünf Prozent, obwohl fast die Hälfte der deutschen Ärzte und Virologen Frauen sind.

Frauen nicht im Epizentrum der Macht

Die Medienanalysten von Media Affairs haben sich in der Krise die Berichterstattung in den österreichischen Zeitungen angeschaut und herausgefunden: Es sind zwar so viele Frauen wie noch nie in der Regierung - aber die Ministerinnen waren in der Krise viel weniger oft am Wort als ihre männlichen Kollegen, obwohl sie wichtige Ministerien haben. Zwei Beispiele: Wirtschaftsministerin Margarete Schramböck kommt mit ihren Inhalten nicht einmal halb so oft vor wie Innenminister Karl Nehammer – sie hat nur 40% seiner Berichterstattung, Arbeitsministerin Christine Aschbacher sogar nur fünf Prozent.

Klar hatten vor allem Bundeskanzler, Vizekanzler und Gesundheitsminister in der Krise das Sagen, aber eine Wirtschafts- und eine Arbeitsministerin seien ebenso bedeutend wie der Innenminister, so Geschäftsführerin Maria Pernegger. Den Ministerinnen sei es nicht gelungen, sich gleich gut zu positionieren: "Es zeigt sich wieder, dass Frauen noch nicht im Epizentrum der Macht angekommen sind, auch wenn sie einen hohen Anteil an der Politik haben." Frauen hätten zudem schlechtere Netzwerke und seien rhetorisch oft weniger angriffig, auch das führe zu weniger Sichtbarkeit.

Karl Nehammer, Werner Kogler, Sebastian Kurz und Rudolf Anschober

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In der Krise zählt nur die erste Reihe

Alexandra Wachter vom Frauennetzwerk Medien, sie ist Puls4-Moderatorin, erklärt die Schieflage so: "Männer stehen in der ersten Reihe. Es spricht immer die erste Reihe. Und Medien sind selbstreferenziell. Wenn einmal Einer gut gesprochen hat, wird er von anderen Medien wieder angefragt. Es entsteht ein Kreislauf und der gehört durchbrochen." Es ist oft nicht leicht, Frauen zum Interview zu bekommen, also muss man eben immer wieder gezielt Ansprechpartnerinnen suchen und die Namen auch schnell parat haben. Das Frauennetzwerk hat eine Corona-Expertinnenliste zusammengestellt. Es fehle die weibliche Sicht auf die Dinge, sagt Wachter. "Das Bild, das entsteht, ist ein vorwiegend männliches. Da fehlt ein entscheidender Aspekt in der Berichterstattung in dem Bild, das in der Gesellschaft entsteht."

Frauen ins Top-Management der Medien

Das Frauennetzwerk Medien hat vor wenigen Tagen gemeinsam mit deutschen und Schweizer Partnerinnen Forderungen an Medienhäuser aufgestellt, es geht darum, Frauen in den Redaktionen zu stärken. Jetzt sei der richtige Zeitpunkt für die Forderungen, weil Frauen in der Krise benachteiligt seien und man nun die Krise für einen Neuanfang nutzen sollte, sagt Alexandra Wachter. Die Medienfrauenorganisationen fordern zum Beispiel eine 50 Prozent Quote auf allen Führungsebenen und auch, dass die Hälfte der Leitartikel, Analysen oder Kommentare von Frauen verfasst werden - gleiches Gehalt oder eben, dass die Höhe der Medienförderung auch davon abhängen soll, wie gut es um die Gleichstellung steht. "Es ist entscheidend und wichtig, dass wir als Frauen die Hälfte der Macht bekommen. Denn wer in Entscheidungspositionen sitzt, der gestaltet die Spielregeln."

Das Home Office kann leicht zur Falle werden

Gerade jetzt, so das Argument, könnten Frauen im Journalismus weiter ins Hintertreffen kommen - weil sie sozial und wirtschaftlich mehr betroffen sind, sagt Wachter. Vor allem wenn Frauen Betreuungspflichten wahrnehmen und deshalb von zu Hause arbeiten oder auch weniger arbeiten, drohe ein Rückschritt für die Medienfrauen: "Man ist dann eher im Home Office oder bleibt länger in Kurzarbeit. Wenn Männer dann schon wieder zurück im Büro sind, in Vollzeit, könnten Frauen den Kürzeren ziehen." Da geht es nicht nur um fehlendes Wissen aus Redaktionssitzungen, sondern möglicherweise auch darum, wer seinen Job behalten kann, wenn die Kurzarbeit vorbei ist - oder ob freie Journalistinnen noch genug Arbeit finden. Männer könnten also bewusst oder unbewusst ihre Machtzirkel stärken, während die Frauen weniger im Bewusstsein sind, so die Befürchtung.

Und noch etwas betont Pernegger: An diese Krise werden wir uns lang erinnern, wer sich hier profiliere, habe gute Chancen aufzusteigen. Umso wichtiger also, dass Frauen sichtbarer werden.

Frau am Laptop zuhause

APA/DPA/SEBASTIAN GOLLNOW

Und noch etwas betont Pernegger: An diese Krise werden wir uns lang erinnern, wer sich hier profiliere, habe gute Chancen aufzusteigen. Umso wichtiger also, dass Frauen sichtbarer werden.

Service

Momentum Institut - Geschlechterverteilung in der Corona-Berichterstattung in Österreich
Media Affairs - Politikerinnen kommen in der Corona-Berichterstattung wenig zu Wort
Malisastiftung - Geschlechterverteilung in der Corona-Berichterstattung in Deutschland
Frauennetzwerk Medien

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