Haruki Murakami

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"Erste Person Singular"

Neuer Erzählband von Haruki Murakami

Ein Traumgespräch mit dem Jazzmusiker Charlie Parker oder ein bierseliger Abend mit einem Affen: In Haruki Murakamis neuem Erzählband "Erste Person Singular" verschwimmt die Grenze zwischen Traum und Wirklichkeit. Doch so weit entfernt von der politischen Gegenwart seine Geschichten spielen, so deutlich waren Murakamis Einschübe in einer seiner jüngsten Radioshows.

Seit 2018 läuft auf dem japanischen Sender Tokyo FM in unregelmäßiger Folge Murakami-Radio. Zuletzt meldete sich der Schriftsteller zum Jahresausklang direkt von daheim, wo der Jazzfanatiker Platten aus seiner eigenen riesigen Vinylsammlung auflegte.

Die Zeit zwischen den Songs nutzte er, um den Umgang der japanischen Regierung mit der Corona-Krise zu kritisieren, so Murakamis Übersetzerin Ursula Gräfe: "In Japan ist es noch ausgeprägter als hier, dass Politiker Dinge beschönigen und die Bevölkerung im Unklaren lassen. Dagegen hat sich Murakami ziemlich deutlich ausgesprochen."

Kafkas Affe

Deutliche Worte forderte Murakami von der Politik und immer klarer und einfacher wird auch Murakamis Stil. Seine Geschichten führen dabei, wie gewohnt, in surreale Parallelwelten. Da kommt etwa der Ich-Erzähler zu später Stunde in einen Badeort in den Bergen und deshalb nur mehr in einer alten und abgewohnten Pension unter.

Dort trifft er - und da lässt mit Franz Kafka einer von Murakamis Lieblingsautoren grüßen - auf einen sprechenden Affen. Sie plaudern und trinken bis tief in die Nacht hinein, und schließlich erzählt der Affe von seiner unerwiderten Liebe zu den Menschenfrauen und dass er als Ersatz für die tatsächliche Annäherung den Frauen aus Liebe ihre Namen stiehlt, um irgendetwas von ihnen zu haben.

Die Todesmelodie von Charlie Parker

Wie fantastisch die Geschichten auch sind, holt Murakami vorweg gerne Expertenwissen zum Thema ein. "Murakami ist mit einem sehr angesehenen japanischen Primatenforscher bekannt", so Ursula Gräfe, "den er auch in seine Radiosendung eingeladen hat."

Zarte Nostalgie weht durch andere Geschichten Murakamis, der gerade seinen 72. Geburtstag gefeiert hat. Da erinnert sich der Ich-Erzähler an Freundinnen und erste Liebschaften, die er auf rätselhafte Weise aus den Augen verloren hat, oder ihm erscheint der von ihm hoch verehrte und früh verstorbene Charlie "Bird" Parker.

"'Ich war vierunddreißig, als ich starb', sagte Bird zu mir. Zumindest glaube ich, dass er es zu mir sagte. Schließlich war außer uns niemand im Raum."

Buchumschlag

DUMONT VERLAG

Und dann erzählt ihm Bird, welche Melodie er im Kopf hatte, während er im Sterben lag. Es war eine Passage aus dem dritten Satz von Beethovens Klavierkonzert Nr. 1.

Das Kippen der Welt

Es ist die letzte Geschichte, "Erste Person Singular", die dem Erzählband ihren Namen gibt und obwohl es auch die kürzeste ist, geht es darin um nicht weniger als die Identität des Ich-Erzählers. Es ist eine provokante Unbekannte, die den Mann, der in einer Bar nur in Ruhe einen Cocktail schlürfen wollte, völlig aus dem Tritt bringt. Dass kann Murakami eben, Stimmen aus dem Nichts rufen, die nur durch eine kleine Bemerkung der Welt ein anderes Gesicht geben.

Service

Haruki Murakami, "Erste Person Singular", Erzählungen, aus dem Japanischen von Ursula Gräfe, Dumont
Originaltitel: Ichininsho tansu
Haruki Murakami

Gestaltung

  • Wolfgang Popp

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