Roland Weißmann und ORF-Logo

APA/ROLAND SCHLAGER

Reaktionen auf die Bestellung

Bis zum Beweis des Gegenteils

Als klarer ÖVP-Wunschkandidat startet Roland Weißmann seinen Job als ORF-Generaldirektor mit einem Misstrauensvorschuss. Er steht unter Beobachtung. Wird er die Redaktionen unabhängig arbeiten lassen? Er versichert das, aber in der Branche glaubt man ihm das noch nicht.

"Politische Interventionen wird es bei mir nicht geben", sagt der frisch bestellte ORF-Generaldirektor Roland Weißmann im #doublecheck-Interview und stellt gleich danach klar: "Oder, die gibt's vielleicht, sie machen nur keinen Sinn, weil ich denen nicht nachgeben werde." Ein Schutzschild wolle er sein. Kritiker in der Medienbranche glauben ihm das nicht. Zum Beispiel Armin Thurnher, Herausgeber der Wiener Wochenzeitung "Falter", er sagt: "Es wird wahrscheinlich politischer Interventionen gar nicht bedürfen. Er selbst ist schon eine politische Intervention. Er weiß ja schon, was zu tun ist."

Ganz ähnlich kommentiert das Cathrin Kahlweit, langjährige Österreich-Korrespondentin der "Süddeutschen Zeitung", auch sie traut Weißmann nicht zu, dass er Begehrlichkeiten der Politik widerstehen wird: "Das glaube ich bis zum Beweis des Gegenteils nicht. Der Zweifel muss bleiben, und den hat er auch verdient."

"Weißmann ist ja selbst eine Intervention"

Weißmann sei ganz klar der Kandidat der neuen türkisen ÖVP von Sebastian Kurz, sagt Armin Thurnher. Das zu bestreiten sei nur Teil der Message Control, für die sie bekannt sei, meint er. Auch Kahlweit sagt: "Es ist eine politische Bestellung gewesen. Die ÖVP nutzt, was sie hat, das hätte die SPÖ mutmaßlich auch getan. Da kann man jetzt Skandal rufen, oder sagen: Das System ist falsch."

Das System, damit meint Kahlweit die Art und Weise wie der Stiftungsrat, das oberste Aufsichtsgremium des ORF, besetzt wird: Die Mehrheit der 35 Vertreter und Vertreterinnen bestimmen Bundesregierung, Parlamentsfraktionen und Landeshauptleute. Sie sind meist nur auf dem Papier unabhängig. Vor allem wenn es um Personelles geht, wird nach Fraktionen abgestimmt, entlang der sogenannten "Freundeskreise". Die Regierenden werden also durch das System begünstigt. Diesmal hat die ÖVP allein die Mehrheit gehabt.

Der neu gewählte ORF-Generaldirektor, Roland Weißmann und Stiftungsrat Norbert Steger

Der neu gewählte ORF-Generaldirektor, Roland Weißmann und Stiftungsrat Norbert Steger.

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Farbenwechsel als Newsroom-Härtetest

Redakteurssprecher Dieter Bornemann kennt das System und reagiert dementsprechend gelassen auf die Frage, ob die Unabhängigkeit diesmal besonders gefährdet sei: "Nein, warum? Der ORF-Generaldirektor ist immer von der Politik bestimmt worden, es hat jetzt ein Farbenwechsel stattgefunden. Die Redaktionen bleiben aber immer gleich." Es sei nicht leicht, in eine ZIB oder ein Ö1 Mittagsjournal hineinzuregieren. Doch es gibt viele Ebenen möglicher Einflussnahme, es kommt eben darauf an, wie die Redaktionen mit Anrufen aus dem Kanzleramt umgehen. Im neuen multimedialen Newsroom, der die gesamte ORF-Information ab dem kommenden Jahr bündelt, wird das zum Härtetest. Unberechtigte Einwendungen hart zu hinterfragen, das sei da eine journalistische Pflicht, sagt Kahlweit, etwa mit der provokanten Frage: "Geht's noch?"

Was in Deutschland gelungen ist

"Geht's noch" – rufen Kritiker und Opposition auch, wenn sie die Entpolitisierung des ORF-Stiftungsrats fordern, bei jeder Generaldirektoren-Bestellung - und das seit Jahrzehnten. Besonders die Grünen, die mit der ÖVP für Weißmann gestimmt haben. In Deutschland ist es gelungen, den politischen Einfluss auf den öffentlich-rechtlichen Rundfunk zu reduzieren - das ZDF-Aufsichtsgremium wird nur noch zu einem Drittel politisch besetzt. Kahlweit hat zwei Erklärungen dafür.

Erstens sei der Politik bewusst geworden, dass es nicht klug sei, den Ruf des öffentlich-rechtlichen Rundfunks zu beschädigen. Das ist eine Debatte, die Kahlweit in Österreich vermisst. Zweitens sei den Parteien bewusst, dass jeder der Verlierer sein könnte, weil in Deutschland viel mehr unterschiedliche Koalitionen möglich seien. In Österreich sei das politische System stabiler, daher fehle der politische Druck, hier etwas zu ändern.

Warum in Österreich der Wille fehlt

Die Aufsicht über den ORF ändern, das könnte die Regierung mit einem neuen ORF-Gesetz, das seit Jahren versprochen ist. Damit verbunden sind auch dringend benötigte Freiheiten, die der ORF im Netz haben will. Aber zur Tatsache, dass das System bequem für die Mächtigen ist, kommen in Österreich noch Besonderheiten der Medienlandschaft - und erhebliche Auffassungsunterschiede inhaltlicher Art zwischen den Regierungsparteien. Für Ende 2022 ist nun eine Novelle des ORF-Gesetzes in Aussicht gestellt. Dazu sagt der Rechtswissenschaftler Nikolaus Forgó: "Das kann man jederzeit ändern, so wie jedes Gesetz auch." Und das sollte man auch tun, jeder weitere verlorene Monat schädige den ORF.

Jede Novelle ein Stich ins Wespennest

Doch dafür fehle der politische Wille, denn es zähle die Realpolitik in der Medienbranche. Mit jeder Änderung des ORF-Gesetzes steche man in ein Wespennest - denn hier haben die Zeitungen und Privatsender viel mitzureden. Und sie möchten den ORF lieber klein halten, besonders was seine Möglichkeiten im Netz betrifft, und machen sich dafür bei der Regierung seit Jahren stark. "Nicht alles, was im ORF-Gesetz verändert werden könnte, ist im Interesse der Verleger", sagt Forgó und erinnert an die Inseratenpolitik.

Erst vor wenigen Wochen hat eine Studie des Medienhauses Wien gezeigt, dass die Zeitungen finanziell immer abhängiger von Inseraten der Regierung werden - und zumindest Teilen der Regierung sei sehr wichtig, "wie man in den Printmedien wegkommt", daher wolle man sie eben nicht vergraulen. Ein Teufelskreis. Bleibt der Stiftungsrat so wie er ist, bleibt der ORF am Gängelband der Politik, während diese die Privaten mit Inseraten und reformbedürftigen Förderungen gefügig hält.

Freundschaft mit der Konkurrenz

Daher lässt auch Weißmanns Plan aufhorchen, dass er mit den Privatmedien kooperieren will. Es geht darum, gemeinsam Lizenzen zu kaufen, oder dass die Privaten gebührenfinanzierte ORF-Sendungen auf ihren Plattformen ausstrahlen dürfen - was ihnen Reichweite und bessere Werbemöglichkeiten bringt. Es geht also ums Geld. Dafür setzt sich Puls4-Chef Markus Breitenecker seit Jahren massiv bei der ÖVP ein.

Motto: Nur gemeinsam gewinnen wir gegen die Internetgiganten, die Aufmerksamkeit und Werbebudgets abziehen. Das würde den ORF schwächen, warnt hingegen Armin Thurnher vom "Falter" - und vermutet dahinter Kalkül. Es könnte eine Gleichschaltung in der Berichterstattung zur Folge haben, argumentiert er, denn der ORF sei sozusagen das Gegengewicht zu den privaten Medien, weil er nach demokratischen Prinzipien funktioniere und die Aufgabe habe, unabhängig zu berichten. "Ich fürchte, dass diese Idee des Gegengewichts flöten geht", so Thurnher.

Bollwerke gegen Propaganda in Gefahr

Armin Thurnher und Cathrin Kahlweit erinnern daran, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk nach dem Zweiten Weltkrieg als Bollwerk gegen Propaganda entstanden sei. Und dass eben dieses Bollwerk in vielen europäischen Ländern von konservativen Regierungen derzeit massiv in Frage gestellt werde. Weißmanns Bestellung werde daher in Europa von vielen Medienbeobachtern kritisch gesehen, sagt Kahlweit und betont: "Ich kann nur sagen, dass ich meine Zweifel daran habe, dass die ÖVP in ihrer jetzigen Form die Demokratie ausreichend pflegt."

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