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1941-2022
Hans Neuenfels ist tot
Der deutsche Theater- und Opernregisseur Hans Neuenfels ist tot. Er starb Sonntag mit 80 Jahren in Berlin. Der Regisseur hatte seine Schauspiel- und Regieausbildung in Wien begonnen und dort oft inszeniert. Ende der 80er Jahre war er Intendant der Freien Volksbühne in Berlin. Bekannt wurde er auch als Opernregisseur, an der Wiener Staatsoper zeigte er 2020 seine überarbeitete Inszenierung von Mozarts Oper „Die Entführung aus dem Serail“. Neuenfels war mit der Wiener Schauspielerin Elisabeth Trissenaar verheiratet und Vater des Kameramanns Benedict Neuenfels.
10. März 2022, 02:00
Ö1 Programmänderung
Hörbilder | 12 02 2022
Neuenfels wurde am 31. Mai 1941 in Krefeld geboren. Er studierte Regie am Max Reinhardt Seminar in Wien. Seine Karriere begann er 1964 am Wiener Theater am Naschmarkt. Mit 28 Jahren hatte er bereits 30 Stücke inszeniert und eine feste Schauspieltruppe mit Gottfried John, Ulrich Wildgruber und der späteren Ehefrau - die Wienerin Elisabeth Trissenaar - um sich geschart. Letztere sollte häufig große Rollen in seinen Inszenierungen spielen. Anschließend zog er als Chefdramaturg nach Trier. Unter dem Einfluss des amerikanischen "Living Theatre" brachte er "Happenings" auf die Bühne und hatte damit schnell den Ruf des "Provokateurs" und "Rebellen".
Theater und Oper waren meine Rettung und mein Glück
Im Laufe seiner jahrzehntelangen Karriere inszenierte er unter anderem am Schauspiel Frankfurt, in Stuttgart, Hamburg, Berlin, Münschen, Zürich und Wien. Von 1986 bis 1990 war er Intendant der Freien Volksbühne Berlin. Neuenfels drehte auch Filme, etwa über Heinrich von Kleist oder Jean Genet, und war ein leidenschaftlicher Autor: 2011 erschienen seine Memoiren mit dem Titel "Das Bastardbuch - Autobiografische Stationen".
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Großmeister und Provokateur
Die größte öffentliche Aufmerksamkeit galt aber Neuenfels' Arbeiten am Musiktheater. Dreimal wurde er zum "Opernregisseur des Jahres" gewählt. Sein Regiedebüt an der Oper hatte er 1974 mit Giuseppe Verdis "Troubadour" in Nürnberg gegeben. Mit Verdis "Aida" ließ er 1980 in Frankfurt einen Theaterskandal folgen: Seine Aida trat dort als Böden schrubbende Putzfrau auf.
Skandalon bedeutet auch eine Läuterung
Skandal auch 2001 bei den Festspielen in Salzburg: In der letzten Saison des umstrittenen Festspielchefs Gerard Mortier zerlegte Neuenfels die "Fledermaus" von Johann Strauß, ließ den Prinzen Orlofsky Kokain statt Champagner konsumieren und eine Sadomaso-Orgie feiern. Bereits mitten in der Premiere machten Zuseher mit Ausrufen wie "Frechheit" oder "Aufhören" ihrem Ärger kund.
Theater der Gegenwart oft "zu ängstlich"
Und auch am Kulturskandal des Jahres 2006 war Neuenfels beteiligt: Die Absetzung seiner Inszenierung der Mozart-Oper "Idomeneo" an der Deutschen Oper in Berlin sorgte für weltweite Schlagzeilen. Knackpunkt war die Szene, in der König Idomeneo die abgeschlagenen Häupter von Buddha, Mohammed, Jesus und Poseidon auf vier Stühle legt. Wegen angeblicher islamistischer Bedrohungen wurde die Inszenierung vom Spielplan genommen.
Theater müsse "immer anecken und auch viel riskieren", sagte Neuenfels 2010 in einem dpa-Interview. Das Theater der Gegenwart sei oft "zu ängstlich und sehr bescheiden, sehr zurückhaltend und auf sich selbst bezogen", meinte er. "Man muss mit dieser Gesellschaft kämpfen, so ist Theater auch immer gewesen." Im Alter wurde Neuenfels versöhnlicher, 2018 kehrte er nach der skandalumwitterten "Fledermaus" zurück zu den Salzburger Festspielen und ließ mit klassisch-altmeisterlicher Sicht von Peter Tschaikowskys "Pique Dame" die einstigen Theater-Skandale vergessen.
Inspirierte Generationen
2016 erhielt er den Deutschen Theaterpreis "Faust" für sein Lebenswerk. Er treibe "die zeitgenössische Weiterentwicklung der darstellenden Künste vehement voran", hieß es in der Begründung. "Mit seinem Wirken inspiriert er ganze Generationen von Schauspielern, Sängern und Regisseuren." Neuenfels sei einer der Protagonisten des gesellschaftlichen und ästhetischen Aufbruchs der Theater nach 1968, immer wieder habe er sich für Uraufführungen und zeitgenössische Werke eingesetzt. "Aber auch traditionelle Werke interpretiert er mit oft schmerzhaftem Nachdruck und entsprechend großer und kontroverser öffentlicher Resonanz als szenische Chiffren für die akuten Themen der Zeit."
"Ohne Theater und Oper hätte ich ein für mich nicht gelungenes Leben geführt, sie waren meine Rettung und mein Glück", resümierte Neuenfels 2010. "Die Bühnenarbeit hat mir eine unglaubliche Kraft gegeben, es war eine große Bereicherung meines Lebens."
"Schön verbogene" Wirklichkeit
In unzähligen Inszenierungen Neuenfels mit dabei war die Schauspielerin Elisabeth Trissenaar, mit der er mehr als 50 Jahre verheiratet war. "Durch die Beschäftigung mit der Literatur haben wir immer selbst bei den größten Auseinandersetzungen einen sachlichen Frieden gefunden, das war immer sehr wichtig und das hat das immer objektiviert", so Neuenfels.
Sehr offen ist Neuenfels mit seinen Süchten umgegangen: Alkohol und massiver Zigarettenkonsum hätten oft erst einen künstlerischen Schaffensprozess in Gang gebracht hat. "Ich fand, dass der Alkohol und die Zusatzmittel zur Existenz die Wirklichkeit erst in eine sehr schöne Verbiegung gebracht haben, weil die Wirklichkeit ist oft nur sehr schwer zu ertragen. Ich hab‘ einmal gesagt, die Wirklichkeit ist nur auf der Durchreise zu ertragen."
Hans Neuenfels eigene Reise mit allen Höhen und Tiefen eines turbulenten Regiestar Lebens ist gestern in Berlin zu Ende gegangen.
Text. APA/Red.; Audio: ORF