Dacia Maraini

ALESSIO JACONA

Menschenbilder

"Ich bin keine Nostalgikerin"

In Rom bei Dacia Maraini, Grande Dame der italienischen Literatur

Sie wohnt unweit der Piazza del Popolo im obersten Stock eines elegant-schlichten Wohnhauses, seit 30 Jahren ihre Residenz. Ein geräumiger Salon; jede freie Fläche von Büchern okkupiert. Das überrascht bei einer Autorin nicht.

Die Wände dagegen: voller Gemälde, sämtliche von Malern, mit denen Dacia Maraini befreundet war. Ein Gemälde zeigt, mit sicherem Strich, eine junge Frau mit strahlendem Gesicht - sie, porträtiert von Carlo Levi. Der Autor von "Christus kam nur bis Eboli" hat die Menschen seines Lebens auch malend festgehalten.

Unter Künstlern

Viele waren auch Teil ihres Lebens. In den 1950er, 1960er Jahren traf man sich in der Bar Rosati auf der Piazza, verbrachten Kunstschaffende aller Art gemeinsame Abende. Federico Fellini war dabei, Michelangelo Antonioni; die Autorin Elsa Morante, Giorgio Bassani und Alberto Moravia. Er würde zwei Jahrzehnte lang ihr Lebensgefährte sein, Pasolini ein enger Freund.

Eine doppelte Persönlichkeit sei er gewesen, so streitbar und scharf in seinen Schriften, im Umgang sanft und liebenswürdig. Zu seinem 100. Geburtstag am 5. März hat Maraini ihm das Buch "Caro Pier Paolo" gewidmet, mit Briefen und Träumen: Erinnerungen einer letzten Zeitzeugin, die mit ihm auch gearbeitet hat und gereist ist, in Afrika, nach Afghanistan, Indien, in den Jemen.

Fortschrittlicher Adel

Rom ist Zuflucht - moderner und freier -, als Dacia Maraini mit 18 Jahren Sizilien verlässt. Eine Flucht aus der Enge der Verhältnisse. Junge Frauen leben wie im 19. Jahrhundert; eine Schulfreundin wird zu Hause eingesperrt, erinnert sie sich. Mädchen, die mit Burschen ausgehen, werden als "putane" beschimpft; erst das Jahr 1968 wird Freiheiten bringen.

Dacia Marainis Mutter stammt aus dem Geschlecht der Alliata, einer Adelsfamilie aus dem Mittelalter, doch anders als die rückwärtsgewandten Traditionalisten, die Giuseppe Tomasi di Lampedusa im Roman "Der Leopard" beschreibt. Die Mutter ist Künstlerin und Galeristin, der Großvater Pazifist, ein Anhänger Tolstois, Vegetarier. Er betreibt Weinbau nach modernen Grundsätzen, legt mit den Bauern Hand an - ein Adeliger als Revolutionär. "Sizilien kennt keine Mittelmäßigkeit. Es gibt kämpferische, mutige, großzügige Persönlichkeiten - und auf der anderen Seite die Kriminellen. Beide sind außergewöhnlich: gut die einen, übel die anderen."

Veröffentlicht mit 13 erste Artikel

Sizilien beschreibt Maraini in ihrem Roman "Die stumme Herzogin" über Marianna Ucrìa, eine Vorfahrin im 18. Jahrhundert. Es wird ihr Durchbruch, ausgezeichnet mit dem bedeutenden Premio Campiello, verfilmt. So gut wie alle weiteren Literaturpreise Italiens wird Dacia Maraini erhalten.

Als Jugendliche auf Sizilien hat sie professionell zu schreiben begonnen, mit dreizehn Jahren erste Artikel veröffentlicht, sich mit 15 einer Literaturzeitschrift angeschlossen, mit 17 eine eigene gegründet. Anfänge einer Laufbahn, während der sie noch vieles anpacken wird: Regie für Film und Bühne, ein Theater nur von Frauen.

Impuls "Fahrenheit 451"

Die Faszination für Bücher ist erwacht, als keine da sind. Während des Zweiten Weltkriegs werden Maraini und ihre Familie in Japan als feindliche Ausländer in einem Lager interniert. Ohne Bücher, ohne Hefte und Schreibmöglichkeit, erzählen ihr die Eltern von Philosophie und Pinocchio - als lebende Bücher, wie in Ray Bradburys Roman "Fahrenheit 451".

Es ist der ungewöhnliche Impuls für ein ungewöhnlich reiches Werk - und Leben. Bis heute veröffentlicht sie, nun 85-jährig, oft mehrere Bücher im Jahr, in vielen davon spielen junge Menschen eine Rolle; in der Erzählung "Drei Frauen" wie in einem Essayband über die Bedeutung der Schule. Sie sei keine Nostalgikerin, sagt Dacia Maraini lächelnd. Ihr Interesse gelte der Zukunft.

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