Außenansicht, Gogol-Zentrum

ORF/PAUL KRISAI

Theater

Letzter Vorhang im Gogol-Zentrum

Das Moskauer Gogol-Zentrum, lange Jahre als eines der besten Theater Europas gelobt, wird jetzt von der Stadtverwaltung geschlossen. Das von Starregisseur Kirill Serebrennikow gegründete, moderne Theater ist nur eines von vielen Beispielen, wie das Regime gegen progressive Kultureinrichtungen vorgeht.

Bis auf den Gehsteig hinaus reicht die Warteschlange in der Moskauer Kasakow-Straße 8. Die letzte Vorstellung im legendären Gogol-Zentrum ist restlos ausverkauft. "Ich habe praktisch das letzte Ticket gekauft", sagt Jekaterina. Sie ist gekommen, um sich von ihrem Lieblingstheater verabschieden: "Das ist ein großer Verlust, besonders für die jungen Menschen. Hier wurde Theater gemacht, wie man es in Russland nirgendwo sonst sehen konnte."

"Das Gogol-Zentrum steht für die Idee der Freiheit, die kann und niemand nehmen"
Kirill Serebrennikow

"Das ist das Ende einer Epoche", stimmt Theaterbesucherin Anastasija mit ein. "Das Gogol-Zentrum ist eine Stimme der Freiheit." "Das ist die totale Zensur", meint Schauspielstudent Ilja. "Niemand hätte je gedacht, dass das gefragteste Theater von Moskau eines Tages geschlossen wird. Die Säle waren hier immer bis zum Anschlag voll."

Preisgekrönt im In- und Ausland

Tatsächlich ist das Gogol-Zentrum eine der erfolgreichsten Bühnen Russlands, preisgekrönt im In- und Ausland. Der Erfolg ist vor allem einem zu verdanken: Kirill Serebrennikow. Der Starregisseur übernimmt das staatlich finanzierte Theater im Jahr 2012 und sorgt mit seinen oft provokanten Inszenierungen immer wieder für Verstimmung in der russischen Machtelite.

Womöglich ist auch das ein Grund, weshalb Serebrennikow bald selbst ins Visier der Behörden gerät. Wegen angeblichen Betrugs landet er in Moskau vor Gericht. Vier Jahre lang steht er unter Hausarrest. Der inzwischen in Berlin lebende Regisseur spricht bis heute von einem "politischen Prozess".

Gogol-Zentrum, Vortrag

ORF/PAUL KRUSAI

"Ich beteilige mich nicht am Krieg"

Einmal noch läuten im Gogol-Zentrum an diesem Abend die Glocken zu Vorstellungsbeginn. Einmal noch geht der Vorhang auf. Schon am Titel des Stücks ist erkennbar, warum dieses Theater in Russland aneckt: "Ich beteilige mich nicht am Krieg" heißt das Werk, basierend auf dem gleichnamigen Gedicht des Poeten Jurij Lewitanskij - ausgerechnet ein Ukrainer. Eine gewagte Inszenierung in Zeiten der Militärzensur, in der selbst das Wort "Krieg" Tabu ist.

Begleitet von stehenden Ovationen tritt nach der Vorstellung die gesamte Belegschaft des Theaters auf die Bühne. Per Video zugeschaltet ist Kirill Serebrennikow: "Das Gogol-Zentrum steht für die Idee der Freiheit", sagt der Regisseur. "Diese Idee kann uns niemand nehmen. Wir haben eine Sichtweise, die den Mächtigen nicht gefällt. Aber sie ist gefragt - von der Moskauer Theaterwelt und von unseren Zuschauern. Sie sind wohl der Grund, weshalb wir nicht schon früher geschlossen wurden."

Auf Regimelinie gebracht

Physisch bleibt das Theater zwar erhalten - doch nur als Hülle seiner selbst: Die Moskauer Stadtverwaltung tauscht Direktion und künstlerische Leitung aus und führt die alte Bezeichnung aus Sowjetzeiten wieder ein: Nikolaj-Gogol-Theater. Drei weitere, progressive Bühnen in Moskau werden auf die gleiche Weise auf Regimelinie gebracht.

Einige Zuschauer haben Tränen in den Augen, als der noch amtierende künstlerische Leiter Alexey Agranowitsch auf die Bühne tritt und die letzten Worte ausspricht: "Das Gogol-Zentrum ist geschlossen. Für immer." Regimekritische Kunst wird in Russland wieder in den Untergrund verdrängt. Solange Wladimir Putin an der Macht ist, wird sie dort auch bleiben müssen.

Gestaltung: Paul Krisai

Service

Gogol Center - Kirill Serebrennikow (russ., engl.)

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